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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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Ritas
verstorbener Mann hatte ihr nichts als Schulden hinterlassen, und doch lebte
die Witwe weiterhin in einem viel zu großen Haus, das mangels Personal und Geld
für die Instandhaltung langsam verrottete. Trotzdem zählte sich die Senhora,
die nur noch alte Kleider auftrug, zur Crème der Gesellschaft Rios und maßte
sich an, über andere zu urteilen.
    »Ach, liebe Dona Rita«, antwortete Vitória, »ich
habe nicht viel Mitleid mit dem Mann. Wer trotz eines so immensen Vermögens
Bankrott geht, ist selber schuld.«
    »Ja, wie wahr, da sieht man mal wieder, wohin
Verschwendungssucht führen kann. Da fällt mir ein, ich habe vorhin Ihren entzückenden
Herrn Papa gesehen, auf dem Largo do Machado, wo er mit einem anderen älteren
Herrn Mühle gespielt hat.«
    »Ja, er genießt seinen Aufenthalt hier in Rio
sehr.« Vitória hatte Mühe, die Haltung zu bewahren. Ihr Vater spielte Mühle auf
einem der öffentlichen Plätze, gerade so wie ein gewöhnlicher Händler oder ein
pensionierter Bürokrat?! Zum Glück machte in diesem Moment Sábado durch ein
zaghaftes Bellen auf sich aufmerksam.
    »Ah, wir müssen weiter. Auf Wiedersehen, Dona
Rita.«
    »Auf Wiedersehen. Und grüßen Sie mir Ihre liebe
Frau Mama.« Im Fortgehen spürte Vitória die stechenden Blicke Dona Ritas in
ihrem Rücken. Wer weiß, wem die alte Klatschtante sonst noch von dem
unangemessenen Zeitvertreib ihres Vaters erzählt hatte. Nur gut, dass kaum
jemand auf das Geschwätz Dona Ritas hörte. Nachdem Vitória und Isaura eine gute
Stunde gelaufen waren und sogar der Hund erste Anzeichen von Müdigkeit zeigte,
indem er nicht mehr pausenlos an der Leine zerrte, kehrten sie nach Hause zurück.
Es war erst kurz vor fünf Uhr, was um diese Jahreszeit bedeutete, dass es in Kürze
dunkel sein würde. León hatte Vitória einmal erzählt, dass es im Norden Europas
im Winter gar nicht richtig hell wurde, während im Sommer die Sonne noch mitten
in der Nacht schien. Wie gern hätte sie sich dieses unvorstellbare
Naturschauspiel einmal selber angesehen! Aber die Europareise gehörte zu den
Versprechungen, mit denen León sie geködert und die er dann nie eingelöst
hatte. Vitória hatte es aufgegeben, ihn daran zu erinnern, wie sie es auch
aufgegeben hatte, überhaupt noch mit ihm mehr Worte als notwendig zu wechseln.
    Mit ihrer Ehe hatte es ohnehin schon nicht zum
Besten gestanden, doch seit vor drei Monaten Vitórias Eltern eingezogen waren,
war sie die Hölle. León verließ das Haus jeden Morgen gleich nach dem
Aufstehen, kam dann zum Abendessen zurück, nur um danach wieder auszugehen.
Politische Versammlungen, karitative Veranstaltungen, Treffen im Club mit berühmten
Persönlichkeiten, Einladungen bei Hofe oder wichtige Theaterpremieren – León
war erfinderisch in der Angabe von Gründen, die ihn von zu Hause fern hielten.
Meist kam er erst so spät nachts zurück, dass Vitória davon nichts mitbekam,
weil sie längst schlief. Die Tage, da sie eifersüchtig und unruhig auf Leóns Rückkehr
gewartet hatte, gehörten, seit sie getrennte Schlafzimmer hatten, der
Vergangenheit an. Nie würde sie den unseligen Tag vergessen, an dem sie von der
Existenz von Leóns Mutter erfahren hatte. Vitória war so schockiert gewesen
angesichts dieses neuerlichen Verrats, dass sie León auf die einzige Weise
bestraft hatte, von der sie wusste, dass sie ihn treffen würde: Sie enthielt
ihm die gemeinsamen Nächte vor. Vitória litt dabei anfangs mindestens ebenso
sehr wie León, doch nach einer Weile ließ das brennende Verlangen nach seinen Zärtlichkeiten
nach. Es war wie die Befreiung von einer Sucht, wenn die ersten Tage schier
unerträglich sind, die nächsten Wochen schwierig, bis endlich der Wunsch nach
dem Gift nachließ und der Süchtige–aller Lebensfreude beraubt, die er in der
Droge zu finden geglaubt hatte – in dem stillen Erdulden seines tristen Lebens
einen gewissen Seelenfrieden fand.
    All das hätte einfacher für sie sein können,
wenn sie nicht ständig mit Leóns beunruhigender Präsenz konfrontiert gewesen wäre.
    Gelegentlich erwischte sie ihn dabei, wie er sie
aus den Augenwinkeln beobachtete, und sie bildete sich ein, in seinen Blicken
mehr zu lesen als die gelangweilte Aufmerksamkeit, mit der er sie normalerweise
bedachte. Manchmal deutete sie es als Hass, manchmal als Lust, und beides fand
Vitória schrecklich. Wenn sie León nicht mehr regelmäßig sehen würde, konnte
sie, davon war sie überzeugt, ein erfülltes Leben führen, das nicht

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