Ana Veloso
würde, an die Kinder, die sie gemeinsam erziehen und die es eines
Tages besser haben würden. Und damit ihm das gelänge, war ein gewisses Maß an
Eigennutz nun einmal unumgänglich.
Er sah sie traurig aus seinen hellen Augen an,
fuhr sich in einer Geste der Verlegenheit durchs raspelkurze Haar und schrieb
dann: »An meine Freunde denke ich auch.«
»Ja, ja. Aber du hast José nur aufgenommen, weil
er sich nützlich macht. Wenn er nicht für dich einkaufen und sauber machen würde,
wärest du schon längst verhungert oder im eigenen Dreck erstickt.«
An José hatte Felix bei seiner Bemerkung gar
nicht gedacht – der Alte war ihm mehr Vater als Freund. Er hatte es selbstverständlich
gefunden, den alten Kutscher aufzunehmen, als er sein Zuhause verloren hatte.
Dass Fernanda ihm jetzt vorwarf, José aus Berechnung bei sich wohnen zu lassen,
empfand er als große Ungerechtigkeit. Ja, José kaufte ein und fegte den Boden.
Aber meistens verursachte er Félix damit mehr Arbeit, als er ihm abnahm. Er, Félix,
verdiente nicht nur das Geld, sondern kümmerte sich auch um José. Er schleppte
José zum Arzt, er brachte ihm manchmal Konfekt und andere Leckereien aus der
Stadt mit, er hatte ihm eine gute Matratze gekauft, um seine Rückenschmerzen zu
lindern. Und wie oft war er mitten in der Nacht auf die Suche nach dem Alten
gegangen! José, der immer sonderlicher wurde, vergaß manchmal die alltäglichsten
Dinge, nicht zuletzt, wo er wohnte. Wenn er nicht schlafen konnte, verließ er
die Hütte, schlenderte durch die Gassen, oft nur unvollständig bekleidet, und
wusste schon an der nächsten Straßenecke nicht mehr, wie er dorthin gelangt war
und wie er nach Hause finden sollte. An anderen Tagen war José völlig klaren
Verstandes, spielte mit Felix Domino, erledigte die Einkäufe sowie die Aufgaben
im Haushalt gewissenhaft und erzählte ihm Anekdoten aus seiner Jugend in Bahia,
wo er Zuckerrohr auf einem Ochsenkarren transportiert hatte. »Der Mann verkalkt
langsam«, lautete die Diagnose einer Nachbarin, die dasselbe mit ihrer Mutter
erlebt hatte. »Bald wird er dich nicht mehr erkennen.«
Von diesem Alten also, den er liebte und um den
er sich intensiv kümmerte, glaubte Fernanda, er würde von Félix ausgenutzt
werden? Wie konnte sie nur so schlecht von ihm denken, erst recht, da sie genau
wusste, wie sehr er sich um José sorgte und wie viel Mühe der alte Mann ihm
manchmal bereitete? Sie selbst hatte doch vor ein paar Tagen, als Félix in
seinem Hinterhof einige schwierige Capoeira-Figuren übte, erfahren, wie weit
Josés Verkalkung bereits fortgeschritten war.
»Marta!«, hatte José erfreut ausgerufen, als
Fernanda kam. »Marta, mein Schatz, wo hast du nur die ganze Zeit gesteckt?«
Fernanda hatte sich umgesehen, ob nicht vielleicht eine andere Frau hinter ihr
stand. Aber nein, José hatte sie gemeint. Er hielt sie für diese Marta, wer
auch immer das sein mochte.
Félix hatte auf den Händen gestanden, in der
Luft die Beine zum Spagat gespreizt, und die ganze Szene, die ohnehin schon
grotesk genug war, kopfüber beobachtet. José, der auf Fernanda zulief und sie
innig umarmte, Fernanda, die immer wieder beteuerte, nicht Marta zu sein, Tosé,
der seiner unerwarteten Besucherin ein Glas Wasser und einen Stuhl von drinnen
holte, Fernanda, die schließlich klein beigab und sich von José die Hand tätscheln
ließ. Félix brach seine akrobatische Übung ab und gesellte sich zu José und »Marta«.
Den Fragen, die José ihr stellte, entnahm er, dass Marta einmal Josés Frau
gewesen sein musste. Wieso hatte José ihm nie zuvor etwas von ihr erzählt? Félix
hatte auf Boavista jahrelang einen Raum mit dem alten Kutscher geteilt, er
hatte sich endlose Geschichten von Schicksalen fremder Leute anhören müssen
aber nie, nicht mit einer einzigen Silbe, hatte José je von einer Marta
gesprochen.
»Warum bist du so biestig heute, Marta?«,
schrieb Félix jetzt auf seine Tafel. Fernanda sah ihn angriffslustig an,
antwortete aber nicht. Schweigend stand sie auf, hängte die reparierte Bluse
auf einen Bügel und verschwand in ihrer Kammer. Felix verschränkte die Hände hinter
dem Kopf, streckte sich und gähnte. Er war müde und Fernanda wahrscheinlich
ebenfalls. Es war keine gute Idee gewesen, so spät noch hier aufzukreuzen und
Fernanda mit Dingen zu behelligen, die sie doch nicht verstehen konnte. Oder
nicht verstehen wollte.
Félix rückte geräuschvoll den Stuhl zurück, um
seinen Aufbruch zu signalisieren.
»Geh nur
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