Ana Veloso
das
Nervenbündel, das sie heute war.
Félix schrieb auf seinen Block: »Wenn du es
nicht schaffst, dann niemand.«
Fernanda glaubte ihm zwar nicht, war aber
dankbar für den kleinen Aufmunterungsversuch.
Félix zupfte sich nervös am Ohrläppchen. Jetzt
war der Zeitpunkt gekommen, ihr von den wahren Schwierigkeiten im Laden zu
berichten. Es liefe alles nicht ganz so reibungslos, wie er es sie hatte
glauben lassen, gestand er. Und die unwilligen Verkäufer seien noch das
geringste Problem. Viel schwieriger war es, mit der Konkurrenz fertig zu
werden. Ein anderer Schreibwarenladen hätte zwei Häuser weiter eröffnet.
»Wie kann man nur so dumm sein!«, rief Fernanda.
»Diese Leute tun sich doch selber keinen Gefallen damit.«
Sie glaubten, schrieb Félix, dass sie gut von
der Kundschaft leben könnten, die sie »Fé« abspenstig machen würden. Vielleicht
hätte er seinen Erfolg nicht ganz so demonstrativ herzeigen sollen, mit dein
neuen großen Messingschild, der eleganten Schwingtür mit mattierten Glaseinsätzen,
der großspurigen Beschriftung der Schaufenster.
Auf Fernandas Lippen legte sich ein aufsässiges
Grinsen. »Wir können Felipe ja tagsüber im Kinderwagen vor der Tür des anderen
Geschäfts stehen lassen – das schreckt jeden Kunden ab.« Félix stimmte in
Fernandas befreiendes Gelächter mit ein. Wenn sie so herzlich lachte, war sie
wieder ganz die Alte, war sie die süße Frau, die er geheiratet hatte. Eine Woge
der Zärtlichkeit stieg in ihm auf, und Fernanda erging es nicht anders, denn
sie erwiderte seinen Kuss mit ungewohnter Leidenschaft. Erst das Gebrüll aus
dem Nebenzimmer holte sie wieder in die garstige Realität zurück.
Eine Woche später hatten sie eine Frau gefunden,
die sich vormittags um Felipe kümmern wollte. Juliana, eine nicht mehr ganz
junge Mutter von acht Kindern, die vor einigen Monaten noch einen Nachzügler
geboren hatte, machte einen vernünftigen Eindruck auf sie. Sie war adrett und
gepflegt, kannte sich mit Kindern aus und wirkte mit ihrem sehr rundlichen Körper
wie jemand, der sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ. Ihr Häuschen
war bescheiden, aber sauber – ein Ort, an dem man den Kleinen ruhigen Gewissens
lassen konnte.
An Fernandas erstem Arbeitstag gaben sie Felipe
morgens um acht bei Juliana ab, um von dort aus mit der von Pferden gezogenen
Straßenbahn ins Stadtzentrum zu fahren. Fernanda war so aufgeregt wie seit dem
Tag ihrer Flucht nicht mehr. Zum ersten Mal seit Felipes Taufe trug sie wieder
ihr feines Kostüm und kein derbes Hauskleid, enge Schnürstiefel und keine
speckigen Sandalen. Sie biss auf der Unterlippe herum, bis sie ein loses Stückchen
Haut an der Innenseite ihrer Lippe entdeckte, das sie mit den Zähnen zu
erwischen versuchte. Sie verzog dabei den Mund auf eine Weise, die ihr nicht
gut zu Gesicht stand. Félix, der nachdenklich aus dem Fenster sah, merkte
nichts von der Nervosität seiner Frau. Er hätte auch wenig Verständnis dafür
aufgebracht. Fernanda hatte schließlich schon vor ihrer Hochzeit im Laden
gearbeitet, sie kannte sich aus und war tüchtig. Sie würde einige neue
Gesichter sehen, ja, denn Félix hatte die alte Belegschaft fast vollständig
durch vermeintlich kompetentere Leute ersetzt. Aber welchen Grund hätte sie,
die Frau des Patrons, haben sollen, sich vor ihnen zu fürchten? Von Fernandas
gesunkenem Selbstwertgefühl hatte Félix nicht die leiseste Ahnung.
Sie stiegen an der Praça Tiradentes aus der Straßenbahn
aus und gingen das letzte Stück zu Fuß. Fernanda hakte sich bei Félix unter.
Ihre Füße schmerzten von dem ungewohnten Schuhwerk. Mit geschärften Sinnen nahm
sie jede noch so geringfügige Veränderung wahr, die sich hier in den
vergangenen Monaten vollzogen hatte. In der Rua da Constituição waren Bäume
angepflanzt worden, die noch kaum bis zu den Balkonen der ersten Etage
reichten. In der Rua Luíz de Camões war ein Stadtpalais, im Frühling noch eine
riesige Baustelle, fertig gestellt worden. Und das Trottoir in der Rua da Alfândega
war nun zur Gänze von den bunten Markisen der Läden überdacht, sodass man auch
bei Regenwetter einen gemütlichen Schaufensterbummel machen konnte.
Auch über den Fenstern ihres Geschäfts spannte
sich eine Markise, grün-weiß gestreift und perfekt auf die dunkelgrün lackierte
Eingangstür abgestimmt, die jetzt noch hinter einem Rollgitter lag. Félix ärgerte
sich, dass Bernardo, der gestern als Letzter gegangen sein musste, die Markise
nicht
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