Ana Veloso
aufdrückte.
Zauberhaft, dachte Vitória, abgeschlossen hatte niemand, und es war offenbar
auch niemand in der Nähe, um aufzupassen, wer das Haus betrat. Ein Schwall
abgestandener, staubiger Luft schlug ihr entgegen. Sie sah sich in der
Eingangshalle um, in der, wie erwartet, die besseren Möbel und
Dekorationsgegenstände fehlten – ihre Eltern hatten damals alles, was einen
gewissen materiellen Wert darstellte, verkaufen müssen. Dennoch war der Effekt
bestürzend.
»Hallo? Ist hier niemand?«, rief sie laut, als müsse
sie sich mit der Kraft ihrer Stimme selber Mut machen. Es hallte wie in einem
Spukschloss aus einem englischen Schauerroman.
»Ich komme ja schon«, hörten sie ein Stimmchen
aus dem Nutztrakt. Kurz darauf zeigte sich die dazugehörige Person, eine kleine
Schwarze in etwa ihrem Alter. »Ja, Sie wünschen?«, fragte sie und zupfte dabei
an ihrer schmutzigen Schürze herum.
»Ich wünsche ein Bad, ein Bett und Auskunft darüber,
was hier vor sich geht. Wie heißt du? Wo sind die anderen?«
»Ich bin Elena. Und w...«
Weiter kam sie nicht, da Joana die
undiplomatische Frage vorhersah. »Guten Tag, Elena. Ich glaube, wir kennen uns
noch nicht. Ich bin Sinhá Joana, die Schwägerin von Sinhá Vitória. Wir sind ein
bisschen erschöpft von der langen Fahrt hierher. Holst du uns bitte etwas zu
trinken? Und ruf bitte einen kräftigen Mann, der dem Burschen mit unserem Gepäck
helfen kann.«
»Wieso sprichst du so höflich mit diesem
nichtsnutzigen Geschöpf?«, wollte Vitória wissen, als Elena davongestoben war. »Jetzt
hält sie sich wahrscheinlich für eine Dame, die sich mit uns gemeinsam zum
Kaffee an den Tisch setzen kann.«
Joana zuckte mit den Achseln. »Ich finde es eben
richtig. Sie ist ja kein blutjunges Ding mehr oder eine alte Freundin.«
Nein. Sie war eine ehemalige Sklavin und
anscheinend wie die anderen vier, die Vitória zur Pflege Boavistas eingestellt
hatte, nicht in der Lage, ihre Arbeit richtig zu erledigen. War es zu viel
verlangt, ein Haus vorzufinden, das von außen wie von innen ordentlich war?
Zumindest oberflächlich sauber? Es musste ja nicht jeder Quadratzentimeter
geschrubbt, gewachst und auf Hochglanz poliert sein, aber man hätte die Räume
regelmäßig lüften und die Böden wischen können. Vitória ärgerte sich über sich
selber. Sie hätte es wissen müssen. Die meisten Menschen, schwarz oder weiß,
brauchten jemanden, der ihnen sagte, was und wie sie es zu tun hatten. Es war
ein Fehler gewesen, sich auf den alten Luíz zu verlassen, der zwar vertrauenswürdig
schien, als ehemaliger Vorarbeiter auch über Autorität verfügte, der sich
jedoch besser mit Kaffeesträuchern auskannte als mit der Instandhaltung eines
Hauses. Aber sie hatte keine andere Wahl gehabt: Außer Luiza und José, die ihre
Herrschaften auf keinen Fall allein nach Rio reisen lassen wollten, waren alle
Haussklaven davongelaufen. Hätte sie Boavista etwa einem Fremden anvertrauen
sollen?
Vitória drückte die Tür zum Salon auf. Über den
wenigen verbleibenden Möbeln lagen Laken, die schon vergilbt waren. Sie riss
die Vorhänge auf, aus denen Staub rieselte. Sie schob die Fenster hoch, deren
Lauf von jahrelanger Nichtbenutzung verzogen war. Nur unter Aufbringung all
ihrer Muskelkraft gelang es ihr, zwei Fenster zu öffnen. Im unbarmherzigen
Tageslicht sah der Salon noch trauriger aus als zuvor. Man erkannte die Kratzer
auf dem Parkettboden, einen gelblichen, feuchtschimmeligen Fleck auf der Wand
sowie Staubfäden, braune, pelzige, die von der Decke baumelten, und feine,
transparente, die sich von Ecke zu Ecke spannten. Oder handelte es sich gar um
Spinnweben? Himmel, es konnte doch nicht so schwer sein, den Staubwedel an
einem langen Stiel zu befestigen und damit gelegentlich über Decken und Wände
zu fahren!
Flapp, flapp, flapp – die Sandalen an Elenas Füßen
kündigten sie schon von Weitem an. Früher hätte man nichts davon gehört, alle
kleinen Alltagsgeräusche waren von den dicken Teppichen und den schweren
Polstermöbeln geschluckt worden.
»Kannst du nicht die Füße heben?«, fuhr Vitória
die junge Frau an, die erschrocken mit dem Tablett in den Händen stehen blieb. »Nein«,
beantwortete Vitória ihre Frage. »Wenn du schon die Aufgaben im Haushalt nicht
bewältigst, dann sind dir die eigenen Füße natürlich erst recht zu schwer.«
»Vielen Dank, Elena.« Joana nahm ein Glas Wasser
vom Tablett, reichte es Vitória und nahm sich dann ihres.
Vitória trank das Glas in
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