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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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leichenblasses Gesicht wahrnahm.
    »Ist dir nicht gut? Setz dich, leg die Füße
hoch. Ich hole dir einen Schluck Cognac – na ja, ich werde wohl eher einen
Schnaps finden. Meine Güte, wenn ich geahnt hätte, dass ein alter Liebesbrief
dich so aus der Fassung bringt ...« Damit stand sie auf, doch Vitória hielt sie
zurück. Eine Träne kullerte ihr über die Wange, die sie energisch mit dem Ärmel
ihres Kleides fortwischte. Die Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück.
    »Es ist kein normaler Liebesbrief. Mach ihn auf.
Lies ihn.«
    Joana hatte Scheu, den Brief zu öffnen, doch als
Vitória sie erneut dazu aufforderte, brach sie schließlich das Siegel und
entnahm dem Umschlag ein kleines, hellblaues Blatt.
    León, Geliebter,
    du hast mir tatsächlich ein Geschenk
hinterlassen, das mich, wäre ich deine Frau, mit großem Glück erfüllen würde.
Findest du nicht, dass du dich nun endlich auf immer zu meinem Sklaven machen
solltest, bis dass der Tod uns scheidet?
    Ich warte, bange, hoffe. Und träume derweil
von deinen Küssen. In Liebe, Vita
    Während Joana las, betrachtete Vitória den
Umschlag, der auf dem Tisch lag. Sie lächelte über die gekünstelte Handschrift,
die sie damals für damenhaft gehalten hatte, die gerundeten Buchstaben mit den
großen Schnörkeln. Heute war ihre Schrift eine ganz andere, mit stark nach
rechts geneigten Buchstaben und aufsteigenden Zeilen. Sie war kantiger,
zackiger, fast wie eine Männerhandschrift.
    Joana ließ den Brief erschüttert auf ihren Schoß
sinken. »Heißt das, du ...?«
    »Genau das heißt es. Ich habe es abgetrieben.«
Vitória wusste nicht, warum sie plötzlich Lust hatte, Joana so brutal die
Wahrheit zu sagen. Ihre Schwägerin konnte ja am wenigsten dafür.
    »Wochen-, monatelang habe ich darauf gewartet,
dass er auftaucht, mich heiratet und sich mit mir über unser Kind freut. Du
kannst dir nicht vorstellen, wie verzweifelt ich war, als ich nichts von León hörte.
Wie ich anfing, ihn zu hassen, weil er mich hier sitzen gelassen hatte,
schwanger, gerade achtzehn Jahre alt und vor die Wahl gestellt, eine Abtreibung
zu wagen, Edmundo zu heiraten oder das Kind zur Adoption freizugeben und dann
ins Kloster zu gehen. Was hättest du getan, Joana?«
    Joana weinte lautlos und schüttelte den Kopf.
Sie wusste es nicht. Wahrscheinlich hätte sie Pedros Kind ausgetragen, aber das
würde sie Vita nicht sagen.
    »Ich wäre beinahe gestorben nach dem Eingriff.«
    »Hast du León das alles erzählt?«
    »Natürlich nicht. Ich war ja bis vor fünf
Minuten davon ausgegangen, dass er von meiner damaligen Entscheidung wusste.
Wir haben das Thema immer vermieden.«
    »Und jetzt?«
    »Und jetzt – nichts. Glaubst du etwa, dass ein
alter Brief noch irgendetwas kitten kann? Die Scheidungspapiere habe ich vor
unserer Abreise unterzeichnet und Aaron gegeben. Es geht jetzt alles seinen behördlichen
Gang. Und glaube mir: Es ist besser so. Ich kann an Leóns Seite niemals Frieden
finden. Wir würden uns nur immer tiefer verletzen, bis wir uns eines Tages
gegenseitig umbringen.« Vitória wandte den Blick von Joana ab und starrte aus
dem Fenster. Glaubte sie das wirklich, was sie da gerade im Brustton der Überzeugung
von sich gegeben hatte? Wenn León ihren Brief nie erhalten hatte, dann ...
    »Er liebt dich.«
    »Red keinen Unfug, Joana. Was hat es mit Liebe
zu tun, wenn er mich als Hure und als Mörderin bezeichnet? Er hasst mich. Und
ich ihn.«
    »Das klang aber in der Nacht, als Pedro starb,
ganz anders«, rutschte es Joana mit einem anklagenden Unterton heraus.
    Vitória stöhnte leise auf. Himmel! Hatten sie in
ihrer Raserei einen solchen Lärm gemacht, dass alle im Haus Zeugen dieses
Spektakels geworden waren? Sie spürte eine aufsteigende Hitze bei der
Erinnerung an diese Nacht, an die Ekstase, die von ihnen Besitz ergriffen
hatte, an die alles verzehrende Leidenschaft ihrer Körper und das völlige
Loslassen ihrer Gedanken, an das barmherzige Vergessen, das die Verschmelzung
ihrer Leiber ausgelöst hatte. Doch Joana gab sie nun mit roten Ohren dieselbe
Erklärung, mit der sie am Morgen danach ihr eigenes Gewissen beruhigt hatte. »Das
hatte nichts mit Liebe zu tun. Das war eine körperliche Reaktion auf die
Trauer. So wie sich andere Leute nach Todesfällen mit Kuchen voll stopfen.«
    Joana sah betreten auf ihre Schuhspitzen. In dem
Wunsch, Joana eine Geste des Verstehens, des Verzeihens zu entlocken, fuhr Vitória
fort: »Es ist die Freude darüber, noch am Leben zu sein. Da

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