Ana Veloso
ihn. »Du Ärmster. Hat dir Frauchen Angst eingejagt? Das mache
ich nicht wieder, versprochen. In ein paar Tagen fahren wir nach Boavista.«
León stand mit einem süffisanten Grinsen vor dem
Werk ihrer Zerstörung. Er ging auf Vitória zu, griff ihr ins Haar und zog einen
Farbkrümel daraus hervor. »Kein Wunder, dass der Hund sich erschrocken hat.
Rosa war noch nie deine Farbe, Schatz.«
Am Mittwoch darauf reiste León ab. Er habe,
hatte er seinen Schwiegereltern mit ausgesuchter Freundlichkeit erklärt, zum
wiederholten Male einen Posten als Konsul in England angeboten bekommen und
sich diesmal dazu durchgerungen, ihn anzunehmen. Es sei äußerst bedauerlich,
dass er dadurch eine ganze Weile ihrer höchst erbaulichen Gesellschaft beraubt
würde, doch er sei sich sicher, dass sie sich alle bald wiedersehen würden. »Vielleicht
kommen Sie mich ja einmal in England besuchen? Wenn Sie schon demnächst auf dem
Kontinent sind, ist es zur Insel ja nicht mehr weit. Es wäre mir eine übergroße
Freude, Ihnen die sonderbaren Gewohnheiten der Engländer zu erklären, bei einem
Tee mit Sahne, versteht sich.«
»Es ist so kalt und nass dort – ich glaube
nicht, dass das meiner Gesundheit sehr zuträglich wäre«, maulte Dona Alma, doch
Eduardo lenkte ein: »Aber ja, mein Junge, wir werden sehen, dass wir es
einrichten können.«
Vitória war wie betäubt. Sie folgte dem
Geplauder, ohne es zu verstehen. Sie dachte nur an den Scheidungsvertrag, den
ihr León eine halbe Stunde zuvor auf ihren Sekretär gelegt hatte – mit seiner
Unterschrift. Nun war es also so weit. Er hatte einen Anwalt mit einer
umfassenden Vollmacht ausgestattet, so dass auch in seiner Abwesenheit die
Scheidung vollzogen werden konnte. Mit allen finanziellen Regelungen, die Vitória
und Aaron so gerecht wie möglich ausgeklügelt hatten, erklärte er sich
einverstanden. Das Dokument war fünf Seiten lang, von denen viereinhalb die
materiellen Güter auseinander dividierten. Vitória hatte mit einem Gefühl des
Triumphs gerechnet, oder wenigstens mit Erleichterung. Aber das Scheitern ihrer
Ehe jetzt vor sich zu sehen, schwarz auf weiß, mit der dynamischen Unterschrift
Leóns, löste in ihr eine diffuse Traurigkeit aus. War das wirklich alles, ein nüchterner
standesamtlicher Vorgang, und ihre Ehe war vorbei?
Vitória begleitete León nicht zu dem Schiff, das
ihn nach England bringen würde. Warum sollten sie jetzt noch den Schein
aufrechterhalten? In Kürze wüsste ganz Rio, dass sie geschieden waren. Sie
mussten sich nicht noch wortreich und in aller Öffentlichkeit voneinander
verabschieden, wie es sich für einen Konsul und seine Frau gehört hätte. Außerdem
hatte Vitória etwas Besseres zu tun, als ihre Zeit mit einer Farce zu
vergeuden. Sie wollte mit Joana nach Boavista fahren und hatte noch viel zu
packen, zu erledigen und zu organisieren. Doch den ganzen Tag wollte ihr nicht
Leóns Gesicht aus dem Kopf gehen, wie sie es zum letzten Mal gesehen hatte, am
Morgen, auf der Außentreppe.
»Hier geht dein letzter Sklave, Sinhazinha«,
hatte er mit seinem spöttischen Lächeln gesagt und dann, leiser, hinzugefügt: »Leb
wohl, meu amor.«
Sie hatte mit einem schroffen »Auf Wiedersehen,
León« reagiert und war ins Haus geflüchtet.
Und jetzt stand sie vor ihren Koffern und
stellte sich vor, wie es am Kai zugehen mochte. Ihre Eltern, Joana und alle möglichen
Freunde Leóns wollten sich am Hafen von ihm verabschieden. Bei ihren Eltern war
sie davon überzeugt, dass es nicht Leóns Abreise, sondern vielmehr das
aufregende Flair des Hafens war, das sie dazu bewegt hatte, noch dazu, wo León
auf einem der größten und luxuriösesten Dampfer der Welt reiste. Sie stellte
sich vor, wie sie Champagner tranken, León herzten, ihm dann mit weißen
Taschentüchern winkten und er strahlend zurückwinkte. Wie das Schiff mit einem
vibrierenden Tuten auslief, León freudig erregt seinen Hut schwenkte und sich,
wenn die Menschen am Kai schon zu klein waren, um noch erkennbar zu sein, dem
Panorama Rios zugewandt hätte. Hätte ihr jemand berichtet, dass León bewusst
den letzten Blick auf die phänomenale Kulisse Rios vermied, Vitória hätte ihn
schlichtweg für verrückt erklärt.
Als das Schiff aus der Bucht auslief, den
Zuckerhut zur rechten, die Landspitze von Niterói zur linken Seite, saß León
bereits an der Bar und betrank sich.
XXXIV
Während der ganzen Zugfahrt sprachen sie kein
Wort miteinander. Beide Frauen sahen aus dem Fenster, jede mit
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