Ana Veloso
einem schluchzenden Lachen abgelöst
wurde.
»León wird schon wieder zu dir finden. Du kannst
das überhaupt nicht verhindern. Ihr zwei seid füreinander geschaffen, ihr zieht
euch magisch an. Das ist wie ... wie ein Naturgesetz.«
»Unsinn! Das einzige Naturgesetz, das mich im
Augenblick interessiert, ist das, welches mein Magen mir diktiert. Ich muss
dringend etwas essen. Und du ebenfalls.« Nach einer kleinen Pause fuhr Vitória
fort: »Sieh uns nur an. Zwei Krähen, die die alten Zeiten bejammern. Lass uns
an morgen denken. Lass uns jetzt zu Abend essen, zeitig zu Bett gehen und
gleich in der Frühe die Fazenda inspizieren.«
Sie stand auf, reichte Joana ein Taschentuch und
legte ihr den Arm um die Schultern.
Im Speisezimmer war der Tisch schon gedeckt –
mit einer zerknitterten Tischdecke, angeschlagenem Geschirr, dem falschen
Besteck und Cognacschwenkern. Joana und Vitória fielen erneut in ihr nervöses
Gelächter. Doch bevor es wieder in ein trauriges Heulen umschlug, straffte Vitória
die Schultern und rief das Mädchen. »Du kannst nichts dafür, Elena, aber der
Tisch ist eine Katastrophe. Ab morgen wird dich Sinhá Joana in der Kunst des
Eindeckens unterweisen. Sie wird dir erklären, welches Besteck für welches
Gericht das richtige ist, welche Gläser für welches Getränk, in welchem Zustand
Tischdecke und Servietten zu sein haben. Um Punkt acht Uhr morgen Früh erhältst
du die erste Lektion. So, und jetzt bring uns das Essen bitte. Und zwei
Servietten.«
Schweigend aßen Vitória und Joana die rabada, einen in Gemüse und Kartoffeln gesottenen Ochsenschwanz. Er schmeckte
erstaunlich gut, und die Dienstboten, die sich alle fünf hinter der Esszimmertür
drängten, um einen Blick auf die beiden vornehmen Senhoras zu erhaschen, waren
erleichtert. Sie hatten lange überlegt, was sie den unerwartet aufgetauchten
Herrschaften auftischen sollten, bis Ines den genialen Einfall mit der rabada gehabt hatte. »Ich weiß, wie man das kocht. Und es ist ein sehr feines
Gericht.« Für die Sklaven war es immer ein Feiertagsessen gewesen, den Senhores
galt der Ochsenschwanz als besserer Hundefraß. Aber das wussten die fünf nicht,
genauso wenig wie sie wussten, dass die beiden Damen nur aus großem Hunger das
Essen so gierig herunterschlangen.
»Morgen schicke ich ein Telegramm nach Rio.
Mariana soll hierher kommen. Wenn uns schon sonst keine Freuden vergönnt sind,
wollen wir doch wenigstens gut essen.«
Joana nickte. »Das wäre wunderbar. Aber – noch sind
deine Eltern in Rio, sie werden die Idee nicht so gut finden, uns die Köchin
abzutreten.«
»Himmel, Joana, denk doch nicht immer nur an
andere! Meine Eltern haben sich und ihre neuen Freunde, während wir zwei Witwen
hier mutterseelenallein in der Walachei hocken. Sie können in Rio jeden Abend
in den feinsten Restaurants tafeln, während wir auf die Kochkünste unserer
Angestellten angewiesen sind. Außerdem glaube ich, dass Mariana lieber hier bei
uns wäre als bei meinen Eltern.«
»Warum bezeichnest du dich als Witwe?«
»Warum wohl? Lass uns nicht wieder davon reden,
bitte. Lass uns lieber die nächsten Tage und Wochen planen. Wir haben Zeit, wir
haben Geld, wir können tun und lassen, was wir wollen. Da ergeben sich doch ein
paar schöne Möglichkeiten. Du könntest dich zum Beispiel, neben der Erziehung
Elenas, der Dekoration dieses verwahrlosten Esszimmers annehmen oder ...«
»Hör auf?«
Vitória sah Joana verwundert an.
»Ich will nicht aufgemuntert werden. Ich will
auch nicht durch geschäftiges Gerenne abgelenkt werden. Ich will einfach nur in
Ruhe trauern. Und dafür erscheint mir Boavista der perfekte Ort – inklusive des
verwahrlosten Esszimmers.«
Vitória verstand Joana nicht. Der
Tapetenwechsel, die Ablenkung, die Beschäftigung mit kleinen, überschaubaren
und vor allem lösbaren Alltagsproblemen – das genau war doch der Grund für ihre
Reise hierher gewesen. Wie konnte Joana sich freiwillig hinsetzen, die Hände in
den Schoß legen und sich inmitten blinder Fenster oder bilderloser Wände ihrer
Trauer hingeben? Sie selber betrauerte den Verlust ihres Bruders unendlich.
Aber was in Gottes Namen hatten angelaufenes Silber, stumpfe Böden und fleckige
Tischwäsche damit zu tun? Das würde ihnen Pedro auch nicht zurückbringen. Es würde
nur ihnen selber schaden, und Vitória war entschlossen, weder sich selbst noch
ihre Schwägerin dem Selbstmitleid zu überlassen. In einer gepflegten Umgebung würden
sie beide sich viel
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