Ana Veloso
Augenblick
unwiderstehlich.
Aber João Henrique, Aaron und Pedro zerstörten
den Zauber des Moments, indem sie wieder über die Sklavenfrage palaverten.
Himmel, wie langweilig Männer doch sein konnten!
Aaron glaubte ihr einen Gefallen zu tun, als er
eine Frage an sie richtete, die ihren Sachverstand voraussetzte. »Wer wird das
dazu gewonnene Land bearbeiten? Haben Sie überhaupt genügend Arbeitskräfte?«
Vitória gefiel es, dass sie ernst genommen
wurde. Aber ausgerechnet jetzt hätte sie lieber über andere Themen gesprochen, sinnlichere
Themen. Musik, Literatur, Theater, Juwelen oder Blumen alles wäre ihr in dieser
Stimmung lieber gewesen als die Erörterung ökonomischer Fragen. Doch als sie
sich aufrichtete und zu einer knappen Antwort ansetzte, ging es mit ihr durch.
»Wenn unsere dreihundert Sklaven ihre
Produktivität um fünfundzwanzig Prozent steigern, und das ist durchaus
realistisch, dann würden wir nur weitere sechzig Mann benötigen, die ein ähnliches
Pensum schaffen.«
Vita sah verstohlen zu León. Er hörte ihr
aufmerksam zu. Sie fuhr fort: »Langfristig ist sicher der Erwerb von neuen
Sklaven unumgänglich. Aber gute Arbeitskräfte sind heute nicht mehr leicht zu
bekommen, deshalb denke ich, dass wir in diesem Jahr noch auf freie Erntehelfer
zurückgreifen müssen. Für uns ist das viel weniger lukrativ, aber immer noch
besser, als Teile der Felder gar nicht abzuernten.«
»Wie viel ...«, unterbrach João Henrique sie,
aber sie hatte die Frage vorausgesehen und unterbrach nun ihrerseits João
Henrique. »Mit vier arrobas beziehungsweise einem Sack Kaffee erzielen
wir etwa zwanzigtausend Reis. Der Arbeiter bekommt für jeden Korb, den er
erntet, etwa zehn Vinténs, also zweihundert Reis. Zehn bis fünfzehn Körbe
ergeben, nach dem Entkernen der Kirschen und dem Waschen und Trocknen der
Bohnen, einen Sack Kaffee – sofern der Pflücker keine grünen oder schwarzen
Kirschen geerntet hat. Dann muss man noch die Kosten für Lagerung, Transport
und so weiter abziehen. Alles in allem verdienen wir an einem Sack Kaffee, der
von Lohnarbeitern geerntet wurde, rund fünftausend Reis. Wenn unsere Sklaven
ernten, bleibt uns nach Abzug aller Kosten für Unterbringung und Verpflegung
mehr als doppelt so viel. Dazu kommt, dass die Sklaven nicht so viel stehlen
wie die freien Erntehelfer. Da haben wir einen Schwund von beinahe fünf
Prozent. Trotz unserer Wachsamkeit schaffen es diese Halunken, immer einen Teil
der Ernte für sich abzuzwacken und auf undurchsichtigen Wegen loszuschlagen.«
»Das entspräche ja einem Schaden von ...«
»Ja, lieber Senhor Castro, von zwei Contos de
Reis. Für diese Summe könnte man schon ein paar schöne Pferde kaufen oder
mehrere kostbare Musikinstrumente.«
»Apropos Musik«, meldete sich Pedro zu Wort, »morgen
kann euch Vita sicher eine Kostprobe ihres Könnens am Piano geben.«
»Aber
nicht, dass sie uns damit genauso einschüchtert wie mit dieser Kostprobe ihrer
Rechenkünste«, scherzte João Henrique. Außer ihm fand es niemand komisch.
Dennoch hatte Vitória die Botschaft verstanden,
und so verabschiedete sie sich bald von ihrem Bruder und seinen Freunden.
Es war schon weit nach Mitternacht, und Vitória
fiel erschöpft ins Bett. Ihr Körper war matt, aber ihr Geist noch hellwach. Ihr
gingen tausend Dinge durch den Kopf, ein wirres Kaleidoskop kleiner
Impressionen, die sie tagsüber gar nicht in dieser Schärfe wahrgenommen hatte.
Der Riss in Aarons Ärmel, die Schweigsamkeit Pedros, der hinterlistige Blick
des Aufsehers Franco Pereira, Luiza, die sich nach getanem Tagewerk mit ihrer
Pfeife auf die Stufen des Hintereingangs gesetzt hatte, der Kratzer auf dem
Klavier, das Mitbringsel Leóns, das sie nicht einmal geöffnet hatte. Doch ihr
letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, dass sie den Laffite gar nicht getrunken
hatten.
IV
Florença, die Fazenda der Familie Soares, lag
etwa einen einstündigen Ritt von Boavista entfernt. Viel zu lange schon hatte
Vitória einen Besuch bei ihrer Freundin Eufrásia vor sich hergeschoben. Aber
jetzt, vier Wochen, nachdem Eduardo da Silva seinem Nachbarn das Land abgekauft
hatte, das ihn zum mächtigsten Fazendeiro des Vale und Afonso Soares endgültig
zum Gespött der Leute machte, musste sie Eufrásia einfach sehen. Mit wem wollte
sie sonst über den Brief reden, den sie vor einigen Tagen erhalten hatte? Mit
ihrer Mutter etwa? Oder den Dienstboten? Nein, für Gespräche über romantische
Angelegenheiten brauchte man
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