Ana Veloso
mehr vorhandenen Exponate abgesetzt hatte,
sah man, wie viele der Gläser, Karaffen, Deckelvasen, Schälchen und Figuren
fehlten.
Von oben hörte Vitória Stimmen, kurz darauf kam
Eufrásia die Treppe herunter.
»Meine Mutter weigert sich, dich zu begrüßen.«
Insgeheim war Vitória froh darüber, denn sie
konnte Dona Isabel nicht ausstehen. Gleichzeitig war sie empört. Was konnte sie
denn dafür, dass Afonso Soares ein solcher Versager war? Hätte ihr Vater das
Land nicht gekauft, wäre sicher ein anderer Interessent aufgetreten.
»Reg dich nicht darüber auf«, riet Eufrásia ihr.
»Es liegt weniger an dir als vielmehr daran, dass sie schrecklich aussieht. Sie
ist in den vergangenen Monaten um mindestens zehn Jahre gealtert.«
»Wo ist der
Rest der Familie?«
»Mein Vater ist in Rio, wo er sich wahrscheinlich
hemmungsloser denn je seinen Lastern hingibt. Jetzt hat er ja nichts mehr zu
verlieren. Jorge und Lucas sind im Colégio. Die Gebühr ist Gott sei Dank für
ein Jahr im Voraus bezahlt, sodass sie dort mindestens bis Weihnachten bleiben
können. Jorge hat glänzende Zeugnisse, er wird wahrscheinlich ein Stipendium
bekommen. Und Lucas, der wird wohl abgehen müssen. Vielleicht nimmt man ihn bei
der Militärakademie auf, er ist schon sechzehn.«
»Und was wird aus dir? Du kannst dich doch nicht
hier verkriechen und auf bessere Zeiten warten?«
»Nein?« Eufrásia lachte trocken auf. »Was soll
ich denn deiner Meinung nach tun? Auf Bälle gehen und die Scharen von Verehrern
in meinen alten Kleidern verzaubern? Allen die Schau stehlen mit einer unmöglichen
Frisur, weil keine Zofe mehr da ist, die mir die Haare anständig aufstecken
kann? Mich den gehässigen Fragen nach meiner Familie aussetzen?«
»Warum nicht?« Obwohl sie einander ihr Leben
lang kannten, war Vitória immer wieder überrascht, wie sehr sich Eufrásia an Äußerlichkeiten
aufhielt und wie sehr ihr am Urteil anderer Menschen lag. Ein aufwändiges Kleid
liebte sie nicht um der Schneiderkunst oder um des kostbaren Materials willen,
sondern nur um dessen Wirkung auf ihre Umwelt. Schöne Verse konnte sie nie
wegen ihrer selbst würdigen, sondern nur, wenn sie sich dafür eigneten, sie in
der Öffentlichkeit zu rezitieren und damit Eindruck zu schinden. Als Eufrásia
neun Jahre alt war, hatte ihr ein halbwüchsiger Sklavenjunge, der ganz vernarrt
in sie war, eine wunderschöne Holzfigur geschnitzt, ein Täubchenpaar, das auf
einem Zweig saß. Die Arbeit war mit größter Sorgfalt ausgeführt und von unerhörter
Finesse. Der Junge war ein begnadeter Künstler. Aber Eufrásia hatte das
Geschenk achtlos in die Ecke geworfen – was sollte sie mit einem Stück Holz
anfangen?
Jetzt, nachdem sie Eufrásia längere Zeit nicht
gesehen hatte, fiel Vitória diese Oberflächlichkeit unangenehmer denn je auf.
Die Umstände taten ein Übriges, um diesen Charakterzug ihrer Freundin verschärft
zum Vorschein zu bringen. Warum sorgte sie sich nicht mehr um den
Geisteszustand ihres Vaters, die Nöte ihrer Brüder, die Angst ihrer Mutter, die
Schmach ihrer Sklaven? Die wahren Gefühle ihrer Nächsten schienen ihr gleichgültig
zu sein, einzig deren äußerer Ausdruck bedrückte sie: Die Mutter sah alt aus,
der Vater trank und spielte, die Brüder würden vielleicht nicht weiter die
namhafte Schule besuchen können, die Sklaven waren fort – was würden ihre Freunde
und Bekannten dazu sagen? Ob Maria da Conceição, die den Soares
aufopferungsvoll gedient hatte und ihnen in tiefer Zuneigung verbunden war, den
Verlust ihres Zuhauses und die Demütigung ihres Verkaufs verwinden würde, war
Eufrásia egal.
Andererseits hatte diese Wesensart in diesem
Fall auch ein Gutes: Eufrásia war leicht aufzumuntern. Es bedurfte nicht mehr
als der Aussicht auf ein hübsches neues Accessoire, um sie aus dem Sumpf des
Selbstmitleids zu befreien, in den sie selbst sich manövriert hatte. Oder der
Aussicht auf einen Ehemann. Schließlich war das alles, worauf Eufrásias
Erziehung abgezielt hatte: sie zu einer repräsentativen Gattin zu machen. Eufrásia
hatte keine besonderen Talente, aber sie hatte Geschmack, tanzte gut und
konnte, wenn wichtigere Gäste als Vitória zu bewirten waren, eine
formvollendete Gastgeberin sein. Und obwohl Vitória wusste, dass zu viele
Komplimente ihrer Freundin zu Kopf stiegen, hielt sie es diesmal ausnahmsweise
für angebracht, ihr ein paar Nettigkeiten zu sagen. »Sieh es doch mal so: Du
bist bildhübsch, du bist tadelloser Abstammung, und du
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