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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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skandalträchtigen
Vorkommnissen ist die Namensänderung einfach Usus.«
    »Gib zu, dass dir deine Fantasie einen Großteil
dieser > wahren < Geschichten eingibt«, sagte Pedro.
    »Aber nein. Überlegt doch mal. Sicher gibt es in
eurer Nachbarschaft auch einige Bastarde, Abkömmlinge des Gutsherrn. Man
spricht nicht darüber, doch jeder kennt mindestens einen solchen Fall. Wenn nun
der Sohn eines Tages die Fazenda übernimmt und Sklaven verkauft, kann es doch
durchaus passieren, dass er damit auch seine eigenen Halbgeschwister verkauft.«
    »Die Bastarde kann man doch nicht allen Ernstes
als Halbgeschwister bezeichnen!«, empörte sich Dona Alma.
    »Nein?«
    Vitória sah León nachdenklich an. Sie hatte sich
über solche Dinge noch nie den Kopf zerbrochen, denn auf Boavista liefen
    ganz sicher keine »Halbgeschwister« von ihr
herum. Aber je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr musste sie León
zustimmen. In den Adern dieser Bastarde floss immerhin zur Hälfte das Blut des
Vaters.
    »Nein«, antwortete Eduardo anstelle seiner Frau,
»aber wir sollten dieses unappetitliche Thema bei Tisch nicht weiter verfolgen.«
    Dem wagte sich niemand zu widersetzen. Um die
Konversation wieder anzukurbeln, fragte Dona Alma ihren Tischnachbarn João
Henrique nach den neuesten Entwicklungen bei Hof, über die er ihr in allen
Einzelheiten zu berichten wusste. João Henrique imponierte Pedro mit seiner
glaubwürdigen und lebensnahen Schilderung, die er sich, da er zur kaiserlichen
Familie so gut wie keinen Kontakt hatte, spontan ausdenken musste. Dona Alma
wiederum gab ihre Begegnung mit dem Kaiser zum Besten, die zwar fünfzehn Jahre
zurücklag, offenbar aber bis heute das einschneidendste Erlebnis ihres Lebens
gewesen war. Vitória und Pedro sahen sich vielsagend an: Sie hatten diese
Anekdote schon so oft gehört, und jedes Mal fügte ihre Mutter ein neues Detail
hinzu, bis es für den unvoreingenommenen Zuhörer den Anschein haben musste, als
sei sie eine enge Vertraute des Monarchen. Und tatsächlich wirkte João
Henrique, der für diese Art von Geschichten ein dankbares Publikum war, sehr
interessiert und gebührend beeindruckt. Dona Alma war glücklich.
    Vitória wandte sich nach ein paar Minuten
gelangweilt ab, um Aaron nach seinem Beruf zu befragen, während León mit
Eduardo über die Bodenschätze Brasiliens fachsimpelte. Nachdem sie endlich auch
das Dessert gegessen hatten, waren alle froh, als sich Eduardo und Dona Alma
verabschiedeten.
    »Wir werden keinen Kaffee mehr nehmen. Aber ihr
jungen Leute könnt euch ja noch ein wenig im Salon weiter unterhalten. Sicher
gibt es vieles zu erzählen. Ach übrigens, Pedro, ich habe auf meinem Sekretär
eine Kiste mit hervorragenden Zigarren – biete deinen Gästen doch davon an.«
    Im Salon goss Vitória den besten Weinbrand in fünf
Cognacschwenker, während ihr Bruder, João Henrique und Aaron sich auf das
Ritual des Zigarreanzündens konzentrierten. León stopfte sich eine Pfeife.
    »Und das haben Sie sich wohl bei den Sklaven
abgeschaut?«, fragte sie ihn spöttisch, als sie ihm sein Glas gab.
    »Nein, ich habe in England gelernt, die Pfeife
zu schätzen.«
    »León«, mischte sich João Henrique ein, »egal, was du tust, du
trittst hier immer wieder in ein neues Fettnäpfchen. Wusstest du nicht, dass
nur Sklaven Pfeife rauchen? Für einen Herrn gehört es sich nicht. Es ist
niedrig.«
    »Es mag niedrig sein, aber es ist ein großer
Genuss. Hast du denn jemals eine Pfeife geraucht?«
    »Natürlich nicht. Genauso wenig wie ich je den
Boden gefegt, ein Hemd gewaschen oder einen gesottenen Hahnenkamm gegessen hätte.
Das sind Dinge, die in unserer Welt nichts verloren haben.«
    »In deiner
vielleicht nicht. In meiner Welt bilde ich mir selber ein Urteil darüber, was
gut für mich ist und was nicht. Vielleicht sollte ich demnächst auch einmal
gesottenen Hahnenkamm kosten.« Der Pfeifenqualm duftete gut, viel besser als
der Zigarrenrauch. Die Luft im Salon war zum Zerschneiden dick, und Vitória war
von der ungewohnten Menge an Alkohol, den sie heute Abend genossen hatte, ein
bisschen wacklig auf den Beinen. Sie ließ sich in den Polstersessel fallen und
bat Aaron, das Fenster zu öffnen. Er sprang sofort auf, um ihr die Bitte zu erfüllen.
Unter den Qualm mischte sich nun die feuchte Abendluft, die erdig roch und in
der das süße Aroma der Kaffeeblüten lag. León warf Vitória Blicke zu, und auch
wenn sie sie nicht zu deuten wusste, fühlte sie sich in diesem
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