Analog 07
Falsch – Grundkenntnisse sind gut in Anbetracht des Alters, habe aber nichts gefunden, das einfach genug ist, um erste Schritte zu erlernen. Bin natürlich noch nicht eingerichtet, habe noch keinen Katalog zusammengestellt oder einen Plan, wie ich mich interessanten Dingen zuwenden soll. Ich sollte zwar, aber im Augenblick langweilt mich das Betrachten scheußlicher Bilder von endokrinen Fehlfunktionen genauso wie das Durchackern von Klassikern.
Romane natürlich rationiert. Tausende von Titeln, darf aber nicht den Kopf verlieren. Bin Schnelleser, wissen Sie, stehe im Laufe der Zeit auf dem trockenen, wenn ich disziplinlos bin.
Fand dann ein Buch über Pitman-Stenographie. Hörte einmal aus untadeliger Quelle (Mrs. Hartman, Daddys Sekretärin und Empfangsdame), daß sie die beste wäre, unter Umständen die schnellste und vielseitigste unter verschiedenen Systemen. Auch am schwierigsten zu lernen. (Fußnote: Zugeständnis an historische Exaktheit: War auch ihr System, Quelle also vermutlich nicht ganz vorurteilsfrei.) Schien jedoch vielversprechend, bot Herausforderung und Frustration. Außerdem, Schlingenmuster sind ganz hübsch, fast Kunstform. Hoffte, es würde unterhaltend sein.
War es auch – für etwa zwei Tage. Dann beendete Gedächtnis Aufnahme von Kurzschrifttheorien, Richtlinien für Kürzel und Ausdruck, übermittelte sie ans Großhirn – Ende der Herausforderung. Ist manchmal ermüdend, ein Genie zu sein.
Jedenfalls, wenn sie auch nicht länger zur Unterhaltung als Selbstzweck diente, war sie doch nützlich und viel praktischer als Langschrift; ideal zum Tagebuchführen, zum Schreiben einer Biographie für Archäologen. Würde das wahrscheinlich nicht machen, wenn auf Langschrift beschränkt, zu langsam und lästig. Dazugehörige Anstrengungen würden Begeisterung dämpfen (die augenblicklich sowieso nur gering ist), Papiervorräte würden nicht lange halten. In Pitman paßt ganze Lebensgeschichte auf anderthalb Zeilen. (Natürlich hilfreich, daß ich nur kurzes Leben hatte – Berichtigung: hilfreich für Kürze, aber nicht für die Laune.)
Problem mit der Laune ist ernstes Problem. Körper tief unterirdisch gefangen, Gefühlsbarometer noch wesentlich niedriger. Keine guten Aussichten, Körper lebend herauszubringen, Angelegenheit wird durch Gefühlszustand jedoch nicht vereinfacht. Depression macht vernünftiges Abwägen der Möglichkeiten unwahrscheinlich. In gegenwärtigem Zustand würde ich vermutlich zehn gute Chancen übersehen und die unmöglichste Idee durchführen. Situation ist möglicherweise nicht so hoffnungslos, wie sie aussieht, aber mit fehlenden Daten, ohne nützliche Ausbildung und spezielle Kenntnissen (und Mut) kann ich keine entwicklungsfähigen Schlüsse ziehen, die ein Happy-End zuließen. Und da das fehlt, nehme ich das Schlimmste an.
Tagebuch dient also nicht nur Archäologen, sondern auch zur Therapie. Katharsis: Kotze dich aus, und fühle dich besser. Muß wahr sein – steht so im psychologischen Text. (Obwohl es trotz Warnungen besser wäre, einem Dr. phil.-Voyeur einen Wochenlohn pro Stunde fürs Zuhören zu zahlen. Zum Inventar des Schutzraums gehört jedoch ein solcher nicht, muß also auch so gehen.)
Erster Schritt: Tagebuch auf heutigen Stand bringen. Habe nie eins geführt, bin nicht geübt in formalen Anforderungen, das Richtige zu tun. Eins ist sicher: Satzstruktur wird sämtliche Englischlehrer im Grab rotieren lassen (bzw. die, die so glücklich sind, eins zu haben).
Englisch besteht zu sechzig Prozent aus Überflüssigem, aus sinnlosen Symbolen, Schrott. Vermute, massive Ineffizienz stammt von unbewußt wahrgenommener Notwendigkeit auszuweichen, um inferioren Intellekten Gelegenheit zu geben, Gedanken wenigstens äußerlich in logischen Zusammenhang zu bringen (meistens ohne Erfolg), und anzugeben (mein 12-$-Wort schlägt dein 10-$-Wort). Werde mich nicht weiter mit Vorangegangenem aufhalten, ist ziemlich sinnlos, Stenographie zu schreiben und dann den Vorteil daraus aufzugeben durch weitschweifiges Dozieren.
Werde immer wieder abgelenkt zu Gesellschaftskritik. Wahrscheinlich Symptom für Zustand. Blödsinn, alle Beweise deuten daraufhin, daß keine Gesellschaft mehr existiert.
Wollte sagen :
Erster Schritt: Tagebuch auf heutigen Stand bringen. Selbst von Neurosen und von verschiedenen Störungen befreien. Dann täglicher Bericht über regelmäßigen Fortschritt beim Studium der Lage, anschließend systematische (brillante) Selbstbefreiung aus
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