Anansi Boys
Dann hielt er inne und machte große Augen.
»Was?«, fragte Mrs. Dunwiddy. »Was ist los?«
In Fat Charlies Hand lag eine Feder, schwarz, zerknickt und schweißnass. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Alles fiel ihm wieder ein.
»Es war die Vogelfrau«, sagte er.
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EIN GRAUER Mo r g en brach a n , als Fat C h arlie auf den Beifahrersitz von Mrs. Higglers Ko m b i kroch.
»Biste m ü de?«, fragte sie ihn.
»Eigentlich nicht. Ich fühl m ich nur einfach ko m isch.«
»Wo soll ich dich hinbr i ngen? M it z u m i r ? Z u m Ha u s von deinem Dad? Motel?«
»Ich weiß nicht.«
Sie legte den Gang ein und sch l ingerte auf die Straße.
»Wohin f a hren wir?«
Sie antwortete nicht. Sie schlürfte e t was Kaffee aus dem Megabecher. Dann sagte sie: »Vielleic h t war’s zum Besten, was wir heut Abend gemacht haben, vielleicht auch nicht. Manchmal ist es bei Fa m iliensachen am besten, wenn die Fa m ilien sie selber regeln. Du und dein Bruder. Ihr seid euch zu ähnlich. Ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ihr euch in die Haare kriegt.«
»Ich nehme an, das war e b en eine spezielle westind i sche Gebrauchsform des Wortes ›ähnlich‹, d i e so viel bedeutet wie ›es besteht nicht die geringste Gemeinsa m k eit«?«
»Komm m ir hier n icht auf die britische Tour. Ich weiß, was ich sage. Du und er, ihr seid beide aus dem gleichen Stoff gemacht. Ich weiß noch, wie d e in Vater zu mir sag t e: Callyanne, sagt’ er, meine Jungs, die sind düm me r als – na gut, ist ja egal, was er genau gesagt hat, nich’ wahr, aber entscheidend ist, er hat es üb e r euch beide gesagt.« Ihr kam ein Gedanke. »He. Als du da an dem Ort warst, wo die alten Götter sind, hast du da a u ch deinen Vater gesehen?«
»Ich glaube nicht. Daran w ü rde ich mich wohl erinnern.«
Sie nickte, fuhr dann schweigend weiter. Sie parkte das Auto, und sie st ie gen aus.
Es war kühl im flor i d ianis c hen Morgengrauen. Der Garten der Letzten Ruhe sah wie eine Fil m kulisse aus: Bodennebel waberte und verwischte alle Konturen. Mrs. Higgler öffnete das kleine Tor, und sie betraten den Friedhof.
Wo noch kürzlich nichts als frische Erde auf dem Grab seines Vaters gelegen hatte, war jetzt Rasen, und am Kopfende des Grabs befand sich e i ne Metalltafel m it eingebauter Metallvase, und in der Vase stand eine einzelne gelbe Seidenrose.
»Der Herr sei dem Sünder in diesem Grab gnädig«, sagte Mrs. Higgler gefühlvo l l. »Amen, amen, amen.«
Sie hatten Pub l iku m : Die beiden rotköpfigen Kraniche, die Fat Charlie schon bei seinem ersten Besuch aufgefallen waren, kamen m it wippenden K öpfen heransto lz iert, wie zwei vorneh m e Gefängnisbesucher.
»Husch husch!«, sag t e Mrs. Higgler. Die Vögel starrten sie desinteressiert an, wichen n i cht zurück.
Einer von ihnen tau c hte den K opf ins Gras, kam mit einer zappelnden Eidechse im Schnabel wieder hoch. Einmal schlucken, einmal schütteln, und die E i dechse beulte den Hals des Vogels von innen aus.
Der Morgenchor begann: In der Wildnis hinter dem Garten der Letzten Ruhe sangen Stärlinge, Pirole und Spo t tdrosseln den Tag ein. »Es w i rd schön sein, wieder nach Hause zu kommen«, sagte Fat Charlie. »Mit ein bisschen Glück hat sie ihn schon rau s geworfen, wenn ich zurückkomme. Dann wird alles gut. Mit Rosie kann ich dann alles klären.« Eine sanft opti m istische Stim m u ng ergriff i hn. Der Tag versprach einiges.
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IN DEN ALTEN GESCHICHTEN LEBT ANANSI, genau wie du und ich, in seinem Haus. Klar, er ist gierig, lüstern, verschlagen und vo l ler Lügen. Und er ist gutherzig, ein Glückskind und m a nchmal sog a r ehrlich. Manc h mal ist er gut, ma n c hmal ist er schlecht. Aber er ist nie böse. M e istens ist man auf A n ansis S e ite. Das kom m t daher, dass Anansi alle Geschichten gehören, die es g i bt. Mawu schenkte ihm die Geschichten, da ma ls in der Frühzeit, nahm sie Tiger weg und gab sie Anansi, und der versteht es wunderbar, das Netz dieser G e schichten zu spinnen.
I n de n Geschichte n is t Anans i ein e Spi n ne , a b e r e r ist a u c h ei n M e n s ch . E s is t nic h t sc h wer , zwe i Din g e gle i c h zei tig im Kopf zu behalten. Selbst Kinder können das schon.
Erzählt werden Anansis Geschichten von Groß m üttern un d Tante n a n de r Westküst e A frikas , überal l i n de r Karibik un d i n de r ganze n Welt . Di e Geschichte n habe n e s bi s i n die Kinderbüche r geschafft : Ei n g r oße r , l
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