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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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hier, auf diesen Straßen und Plätzen, die letzten fünfzehn Jahre meines Lebens verbracht habe, unter diesen Gosprom-Bögen bin ich an einem warmen Junisonntag, um fünf Uhr morgens, entlanggelaufen, als außer mir die ganze Stadt schlief, und gerade weil ich mich daran erinnere, werde ich immer wieder an diesen Ort zurückkehren, einfach so, ohne jedes Ziel, ohne jede Erfüllung. Aber vielleicht sind ja gerade das die Assoziationen.
     
    Zurück zu den Ereignissen vom letzten Herbst, ich erinnere mich an eine herrliche verschneite Nacht, die gerade hereingebrochen war, wir hatten ein paar Stunden inmitten von Polizisten und seit dem Abend zugelöteten Trotteln, will heißen, unseren politischen Gegnern, vor uns. Genosse Hubschrauber und ich hatten Gras besorgt, und wir gingen zum Lenin-Denkmal, um dort einen Joint zu rauchen. Im abendlichen Charkiw ist das genau der richtige Ort für so was, wir standen in der Winterdämmerung, vom Himmel fiel Festtagsschnee, gerade war der Wahlsieg unserer sogenannten politischen Gegner verkündet worden, aber wen juckte das eigentlich, es sah nur von außen so aus, als würde hier ein Kampf politischer Programme und Strategien ausgetragen, in Wirklichkeit trieben sich eine Menge durchgeknallter, krasser Typen bei uns rum, die gar nicht wußten, wohin mit ihrer Power und ihrem Adrenalin, und so ging uns die Entscheidung egal welcher Zentralen Wahlkommission echt am Arsch vorbei, wenn es was gab, was uns nicht interessierte, dann war es die ZWK, vor uns stand das Gosprom, das rote, halbzerfallene Gosprom, hinter uns stand im Festtagsschnee Genosse Lenin, wir waren mit unserem Joint von Dutzenden nervöser Polizisten umringt, wen kümmerte da die Entscheidung irgendeiner ZWK?
    Ich mag diese Gebäude sehr, ihre Stilkontraste, die Lücken zwischen ihnen, so eine Umgebung prägt sich ein und gerät kaum in Vergessenheit, ich kann zum Beispiel vollkommen verstehen, warum der alte Führer gerade hier gelandet ist, wenn ich ein Flugzeug gehabt hätte, wäre ich auch in irgendeine Frontstadt im Osten geflogen, auf dem zentralen Platz gelandet, aus dem Flugzeug gesprungen, hätte die Gliedmaßen gelockert und ein bißchen mit der örtlichen Bevölkerung geplaudert, ich hätte sie nach ihren Alltagssorgen gefragt, nach ihren Wünschen, worüber sollte ein verrückter alter Führer mit der örtlichen Bevölkerung denn sonst reden, ich hätte mich für die Gastfreundschaft bedankt, Brot und Salz entgegengenommen und mich schließlich wieder in den Himmel über den uneinnehmbaren Stadtvierteln der Stadt erhoben, die meine Armee zuvor zur Schnecke gemacht hat.
    Links von uns dunkelte die Universität, nur in den oberen Etagen brannte in einigen Räumen noch Licht, vermutlich Institutsräume, die Lehrveranstaltungen waren schon lange zu Ende, in ein paar Stunden würden die Studenten zum ersten Seminar kommen, man könnte hier stehen bleiben und auf sie warten, man kann hier auf alles Mögliche warten, man muß nur lange genug stehen, besonders in diesem Zustand. Das Territorium lag unter Beschuß, angestrahlt vom frischen Schnee. Der Winter versprach lang und kräftezehrend zu werden wie jeder Winter. Das Leben versprach ebenso lang und interessant zu werden. Die Seelen der verstorbenen Junkies sahen aus dem dunklen Charkiwer Himmel auf uns herab, der Schnee verdeckte ihren Blick auf unsere Gesichter. Der beleidigte Lenin drehte uns den Rücken zu.
     
4. Frühlingswind in den Seminarräumen.
    Den ganzen Winter 2002 war die Universität Wien am Streiken. Das Bildungsministerium hatte irgend etwas nicht genehmigt, und die fortschrittlichen studentischen Streikkomitees führten die fröhlichen aufständischen Massen aus den Seminarräumen hinaus auf die Straße. So richtig habe ich nicht verstanden, worum es ging, irgendein Abbau von Vergünstigungen, eine Kürzung des Lehretats, Erscheinungen des alltäglichen Faschismus also. Bei uns gibt sich keiner mit so etwas ab, unsere Studenten sind faul und skeptisch, die hiesigen gutgläubig und sozial verwöhnt. Ich konnte nicht glauben, daß eine drohende Kürzung des Lehretats mehrere tausend Menschen zu einer Kundgebung zusammen bringen würde, ich habe schon viele Kundgebungen erlebt, habe gesehen, wie schwer es ist, Leute zusammenzubringen, und wie schnell die Gruppen auseinanderfallen. Aber offensichtlich war es möglich. Die Universität erinnerte in diesen Tagen an einen Frontbahnhof, irgendwo im Grenzgebiet zwischen der Ukraine und Ungarn oder

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