Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
Kamenskaja etwa selbst gegenüber irgendwem angedeutet, sie sei vom ›Dienst‹, damit man sie nicht behelligte? Sie wollte in Ruhe gelassen werden, das stand außer Zweifel. Aber warum nur? Anastasija Kamenskaja von Zimmer 513 war der erste Mensch seit vier Monaten, dessen Verhalten Shenja Schachnowitsch sich nicht erklären konnte. Und das ließ ihn vermuten, daß er zu guter Letzt doch das Ende des Fadens zu fassen bekommen hatte, der ihn zur Lösung jener Aufgabe führen könnte, wegen der er auf Order seines Chefs bereits vier Monate hier das ›Mädchen für alles‹ spielte.
* * *
»Wir haben ein kleines Problem. Einer unserer Kunden verlangt kategorisch ein Mädchen, das nicht aus unserem Kontingent stammt. Ihm gefällt eine von denen, die hier im Sanatorium zur Kur sind. Er läßt sich durch nichts davon abbringen. Und es wäre unsinnig zu glauben, man könnte es doch noch irgendwie schaffen, ihr wißt ja selbst, was für Kunden wir haben. Von denen ist kein einziger psychisch normal, wie denn auch.«
»Was sollen wir machen?«
»Ihr müßt sofort einen ähnlichen Typ auftreiben. Die könnten wir ihm dann vielleicht unterschieben. Er hat sie ja nur von sehr weit weg gesehen, konnte das Gesicht nicht genauer erkennen. Hätte eh nichts Besonderes zu erkennen gegeben, ihre Visage ist selten langweilig. Keine Ahnung, was er an der findet. Größe einsfünfundsiebzig bis einsachtundsiebzig, Gewicht um die Sechsundsechzig, Oberweite – vierundneunzig, Taille –zwischen zweiundsechzig und fünfundsechzig, Hüfte – achtundachtzig bis neunzig. Haarfarbe hellbraun, ins Aschfarbene gehend, Länge der Haare – knapp über Rückenmitte, Schulterblätter müssen verdeckt sein. Das sind die ungefähren Angaben. Augen – hell. Merkmale – keine besonderen. Ich werde sie euch zeigen, wir werden ein Foto machen müssen, um später die Schminke anpassen zu können. Wir müssen sehr schnell handeln, bevor der Kunde Verdacht schöpft.«
»Und sie selbst läßt sich zu nichts überreden?«
»Ausgeschlossen.«
»Wieso?«
»Bestellung Kategorie ›B‹. Du weißt selbst, wie vorsichtig wir das Kontingent für diese Kategorie auswählen. Niemand darf sie hinterher vermissen.«
»Logisch. Mit den anderen Bestellungen geht alles klar? Oder gibt’s da auch Probleme?«
»Na ja . . . Einer der Kunden hat Zusatzwünsche geäußert, die ziemlich schwer zu erfüllen sind, aber mir ist schon etwas eingefallen. Zwei, drei Tage brauche ich noch, dann können wir das aufnehmen. Bei Kunde drei gibt es keine Probleme, wie immer. Bei ihm sind es zwei Bestellungen, eine in Kategorie ›B‹, und eine in Kategorie ›C‹. Seine Aufnahmen können wir gleich heute machen.«
»Die Drehbücher?«
»Fertig, alle vier.«
»Kulissen, Kostüme?«
»Fertig.«
»Ton?«
»Die Begleitmusik ist fertig, der Rest nach den Aufnahmen.«
»Bestens. Vorschläge zum Arbeitsablauf?«
»Wir fangen morgen an, machen hintereinander die zwei Bestellungen von Assanow. Währenddessen lösen wir das Problem mit Marzew, das müssen wir schaffen. Die Bestellung des Usbeken als letztes. Dieser Frauentyp ist ziemlich gewöhnlich, es kann doch nicht sein, daß wir in vier Tagen nichts Passendes auftreiben. In unserer Datenbank haben wir Dutzende von Frauen . . .«
»Aber denkt an die Kategorie.«
»Wird gemacht.«
»Wir arbeiten unter erschwerten Bedingungen, gleich mit zwei Kunden Probleme. Wenn wir alles rechtzeitig hinkriegen, sollte Semjon eine Prämie bekommen. Wer ist dafür? Einstimmig angenommen. Ihr könnt gehen, nur Kotik bleibt.«
Der etwas dickliche, immer lächelnde Masseur mit dem Spitznamen Kotik – Katerchen –, wechselte vom Stuhl, auf dem er während der Besprechung gesessen hatte, auf das weichere Sofa, zog die Beine an und rollte sich ein. Angeblich konnte er so besser nachdenken, darum nahm er in entscheidenden Momenten immer die Stellung einer schlafenden Katze ein. Daher auch sein Spitzname.
»Was hast du über die Kamenskaja herausbekommen?«
»Gar nichts. Vor allem will sie auch selber von niemandem etwas wissen. Absolviert ihr Kurprogramm, übersetzt ihre Krimis. Ist an keinerlei Bekanntschaften interessiert. Die erinnert mich an einen dressierten Foxterrier.«
»Das mußt du mir erklären.«
»Freundlich, entgegenkommend, aber tote Augen. Und ein stahlharter Biß.«
»Was die Augen angeht, da hast du recht. Aber wieso glaubst du, sie hätte einen stahlharten Biß? Wie äußert sich das?«
»Gar nicht. Ich spüre es
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