Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
nach zwei. Tatsächlich, ganz schön spät. Wissen Sie was, Nastja, lassen Sie uns ganz offen miteinander reden. Ich mag es sowieso am liebsten einfach und ehrlich. Sie haben nichts dagegen?«
»Probieren Sie es«, kam es Nastja kaum hörbar über die erstarrten Lippen. Sie verspürte eine leichte Übelkeit.
»Erstens schlage ich vor, zum Du überzugehen. Einverstanden?«
Sie nickte und haßte sich dafür.
»Zweitens möchte ich Ihnen, soll heißen dir, hiermit offiziell erklären, daß du mir nicht nur gefällst, sondern sogar sehr gefällst, ich bin kurz davor, mich zu verlieben und hätte natürlich gern, daß wir jetzt zusammen auf mein Zimmer gehen. Doch es soll so laufen, wie du es willst. Wenn du meinst, heute sei es noch zu früh, dann warte ich gern bis morgen, oder bis übermorgen, oder bis zu irgendeinem Tag dieser Woche, bis ich wieder zurückfliege nach Nowosibirsk. Nur hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Ich habe meine Apparate mitgebracht, weil ich Regina um Rat fragen möchte. Ich bin zum Arbeiten hergekommen. Wenn ich dich also zu mir aufs Zimmer einlade, um dir meine Arbeit zu zeigen, dann ausdrücklich zu diesem Zweck. Ich bin kein kleiner Junge mehr, Nastja, der ein Mädchen zum Musikhören in den Keller einlädt, und hinterher beklagt sich das Mädchen, man habe sie vergewaltigt. Ich bin fast vierzig. Und billige Tricks habe ich nicht nötig, um eine Frau, die mir gefällt, ins Bett zu bekommen.«
Allerdings. Und nicht nur ins Bett, sondern auch auf den Boden, und auf den Tisch, und überhaupt auf alles, was sich gerade bietet. Wie schade, mein Gott, wie schade! Alles an dir ist in Ordnung, Damir, bis auf eines: du lügst. Und das liebe ich gar nicht.
Kapitel 4
TAG FÜNF
Shenja Schachnowitsch weckte Alferow und Dobrynin lange vor dem Frühstück.
»Also, Rapport«, rief er. »Ich gebe es gleich zu, bei mir – totaler Reinfall. Jeder von euch kann sich also um fünfzig Riesen reicher schätzen. Was gibt’s bei dir, Pawel?«
Zufrieden berichtete Dobrynin von seinen gestrigen Abenteuern. In Gesellschaft der von ihm gelosten Dame hatte er weit mehr als nur sechs Stunden verbracht. Kurz vor dem Mittagessen kennengelernt, bis kurz vor Morgengrauen geblieben, zum Glück hatte sie ein Einzelzimmer gehabt. Schachnowitsch ließ sich von ihm sämtliche Gespräche in allen Einzelheiten wiedergeben, was Pawel unverhohlen wütend machte.
»Gratuliere. Pawel bekommt seine ehrlich erarbeiteten zweihundert. Kolja?«
Alferow zuckte unschlüssig mit den Achseln.
»Sie ist irgendwie eine. . . die gar nicht. Keine Ahnung. Wollte sich nicht mal unterhalten. Gab mir den Rat, mein Dach reparieren zu lassen.«
»Wie bitte?« fragte Dobrynin ungläubig nach.
»Zum Psychiater soll ich gehen, meint sie. Da habt ihr euch was Blödes einfallen lassen, Jungs. Wir geben doch die reinsten Idioten ab mit unserer Anmache.«
»Erstens nicht wir, sondern du«, warf Pawel ein. »Ich persönlich fühle mich wunderbar, und mich hält keiner für einen Idioten. Und zweitens bist du sauer, weil du nichts abgezockt hast. Wollen wir wetten, daß ich deine blasse Schrulle in sechs Sekunden herumkriege?«
»Ich erinnere daran, daß sich der Einsatz bei Wiederholung auf zweihundert erhöht«, fügte Shenja hinzu. »Also was ist, Pawel, machst du dich an Zimmer fünfhundertdreizehn ran?«
»Wer nicht wagt, der nicht Champagner trinkt!« Dobrynin grinste breit.
* * *
Irgend etwas stimmte nicht mit dieser Kamenskaja, sagte sich Schachnowitsch, während er durch die verschiedenen Gebäudetrakte des Sanatoriums ›Doline‹ wieselte, um Reparaturaufträge wegen defekter Stromleitungen zu erledigen, darüber hinaus aber auch alle anderen Elektrogeräte reparierte, von Telefonapparaten bis hin zu Fernsehern. Erstens hatte er läuten hören, daß sie fürs Innenministerium arbeite, obgleich man ihr, wie Shenja natürlich genau wußte, nicht mal ein Einzelzimmer hatte geben wollen. Jelena, die Grimmige (wie die Verwaltungschefin von ihren jungen Angestellten hinter vorgehaltener Hand genannt wurde) hatte sich wie üblich ein Schmiergeld ergaunert, also war aus dem Innenministerium kein Anruf für die Kamenskaja gekommen. Woher aber dann diese Gerüchte? Shenja wußte, daß Leute, die wollen, daß man möglichst wenig über sie wußte und sie nicht mit Fragen behelligte, manchmal ein Geheimnis um sich machten, als seien sie von der Polizei oder vom Geheimdienst. Jedenfalls war das früher oft der Fall gewesen. Hatte die
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