Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
wäre ein wundervolles Paar. Im übrigen bekomme ich ja nicht viel zu sehen, ich gehe nur selten aus dem Zimmer, nur zu den Behandlungen. Das Essen bringt man mir als Ehrenpatientin direkt hierher.«
»Gibt es hier tatsächlich so einen Service?« Korotkow war erstaunt. »Sogar das Essen wird einem aufs Zimmer gebracht?«
»Jura, sei nicht naiv. Wer gut zahlt, der wird auch gut bedient. Ich zahle eben. Deshalb behandelt man mich gut.«
»Tante Rina, und woher haben Sie so viel Geld? Das frage ich als Neffe«, erläuterte Korotkow sofort.
»Mein Unterricht ist teuer, mein Lieber. Eine Stunde zehn Dollar. Ich nehme das Geld natürlich in Rubel, aber dem Kurs entsprechend. Talentierten Kindern, das heißt ihren Eltern, kommt es billiger, und unfähigen teurer.«
»Wie das?«
»Ganz einfach. Wenn ein Kind fleißig und musikalisch ist, genügt es, mit ihm zwei Stunden zu üben, und es versteht, wie ein Musikstück klingen muß. Dann arbeitet es zu Hause zwei bis drei Wochen selbständig und führt mir das geschliffene Stück vor. Es kommt auch vor, daß ich keine richtige Stunde gebe, sondern so etwas wie eine Beratung. Und wenn ein Kind untalentiert ist, muß man mit ihm zwei- bis dreimal die Woche arbeiten, und so kommt es teurer.«
»Haben Sie viele Schüler?«
»Ich kann mich nicht beschweren. Richtige Talente habe ich fünf. Noch acht mit guten Fähigkeiten, aber ohne einen Funken Talent und den nötigen Fleiß. Und drei kann man ganz vergessen. Sie spüren die Musik nicht, haben nicht einmal ein Gehör. Aber die Eltern träumen vom Ruhm und schleppen sie in den Unterricht. Den einen sogar täglich. Der Junge tut mir fast leid, sie machen ihn richtig kaputt. Der arme Kerl bemüht sich redlich, er hat offensichtlich Angst vor seinen Eltern. Einen Musiker für zu Hause mache ich natürlich aus ihm, und meine Dollars verdiene ich auch. Er wird Papa und Mama und ihre Gäste mit populärer Musik verwöhnen. Aber ein Musiker wird er nie. Außerdem, Jura, habe ich noch eine Einkommensquelle: Ich bereite Musiker auf Wettbewerbe vor. Sie kommen sogar aus anderen Städten. Das kostet natürlich wesentlich mehr, aber das ist auch ein ganz anderes Niveau. Das sind schon fertige Musiker, die ihre eigene Sicht auf ein Werk haben. Meine Aufgabe ist es, ihnen zu helfen, ihre Idee dem Zuhörer zu vermitteln. Ich muß ihnen sagen, wie sie dahin gelangen können. Aber sie haben Angst, daß ich ihnen meine Auffassung aufdränge, in jedem meiner Ratschläge sehen sie eine Falle, einen Versuch, eine Lösung in meinem Sinn zu finden. Es ist kaum zu glauben, aber manchmal kommt es zu richtigen Auseinandersetzungen. – Daher kommt also mein Wohlstand. Dazu noch die Pension, aber über die brauchen wir nicht zu reden.«
»Das heißt, Sie haben ein reiches Erbe zu vergeben, Tante Rina? Schade, daß ich nicht wirklich Ihr Neffe bin«, scherzte Korotkow.
»Oho!« Die Alte lachte. »Nach meinem Tod bleibt von mir nur das Klavier, freilich ein sehr teures, zugegeben. Ich gebe ja eine Menge aus, mein Neffchen, also reiß dich nicht um Tantchens Geld. Drei- bis viermal im Jahr lasse ich mich hier behandeln und zahle für jede Kleinigkeit, sonst funktioniert bei mir bald gar nichts mehr. Das Gehen fällt mir schwer, deshalb fahre ich in der STADT ausschließlich mit dem Taxi. Einkaufen, Waschen, Putzen – für all das habe ich weder Zeit noch Kraft. All das bezahle ich ebenso, und äußerst großzügig. Bei uns herrscht im Augenblick keine Arbeitslosigkeit, deshalb findet man keine billigen Haushaltshilfen. Ich gebe alles aus, was ich verdiene. So sieht es aus, lieber Neffe.«
Jura hörte, wie das Schloß der Nachbartür einschnappte und blickte Regina Arkadjewna fragend an. Sie nickte.
»Nastjenka ist gekommen. Wenn du sie erwischen willst, mußt du gleich rübergehen, sonst verschwindet sie ins Schwimmbad.«
* * *
Nachdem er das Zimmer 515 verlassen hatte, in dem Regina Arkadjewna wohnte, ging Korotkow einen Schritt in Richtung von Nastjas Tür und wollte schon die Hand ausstrecken, um zu klopfen, als er bemerkte, daß ein Mann mit einem riesigen Rosenstrauß auf Zimmer 513 zuging. Jura ging an ihm vorbei in Richtung Treppe, und aus dem Augenwinkel sah er, wie der Mann bei Nastja anklopfte und eintrat. Korotkow rannte sofort zurück und stürmte ins Zimmer 515.
»Regina Arkadjewna, ich muß das Fenster öffnen!«
»Aber draußen sind es minus fünf Grad, Jurotschka, ich erfriere«, sagte die Alte unwillig. »Was ist
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