Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
kriegt man davon keinen Rausch.
Die Menschen strömten ohne Eile durch die Straßen. Einige Familien standen in Gruppen vor einer Straßenverkäuferin, einer rothaarigen sympathischen Frau. Wenn sie was bestellten, waren sie nicht knauserig, berieten sich mit den Kindern und lachten fröhlich. Weder ›Mars‹ noch ›Snickers‹ lagen aus, und irgendwie freute Nastja das.
Sie stand an einem sauberen, ziemlich hohen Tisch und verschlang ein belegtes Brot mit heißgeräuchertem Stör. Auf einem Pappteller vor ihr warteten mit Pilzen gefüllte Piroggen. Der Kaffee im Einwegbecher verströmte einen angenehmen Geruch, dabei war es Nastja nicht so sehr um den Genuß gegangen: sie hatte ihn bestellt, um sich die Hände zu wärmen. Und während sie Kindergeschrei aus dem Park hörte, wo sich Ringelspiele drehten und Musik gespielt wurde, dachte sie, daß jetzt, gerade jetzt jemand an sie herantreten würde. Wie’s der Teufel überall auf der Welt will, wird man gerade dann vom Tisch gerissen, wenn das beste Essen serviert wird. Sie hatte Heißhunger auf die Piroggen.
»Sind Sie schon angefroren?« hörte sie hinter ihrem Rücken eine spöttische Stimme.
In diesem Moment machte der Ankömmling einen Schritt nach vorn und stand ihr gegenüber. Nastja erblickte einen nicht mehr jungen, hochgewachsenen Mann, der unauffällig, aber elegant und teuer gekleidet war. E)er einzige helle Fleck war ein blendend weißer Pullover unter der offenen warmen Jacke. Die dichten grauen Haare waren kurz geschnitten, das Gesicht war etwas grob, wie aus Holz geschnitzt, die Augen dunkel und aufmerksam, aber zugleich freundlich. Nastja erkannte in ihm sofort den CHEF. So einer bist du also, dachte sie ruhig und betrachtete ihn, und überhaupt nicht zum Fürchten. Sehr angenehm. Noch niemals habe ich Menschen deiner Art aus der Nähe gesehen. Selbst wenn sich zwischen uns nichts ergibt, ist es auf jeden Fall interessant, dich kennenzulernen.
»Verzeihen Sie, wenn ich Sie habe warten lassen.«
Auch die Stimme des Mannes war angenehm. Nastja trank schweigend ihren Kaffee und blickte ihm direkt in die Augen. Obwohl du in jeder Hinsicht sympathisch bist, beschloß sie, werde ich dir dennoch nicht beim Reden helfen. Du sollst mich ja erobern, also bitte, erobere mich.
»Ich heiße Eduard Petrowitsch Denissow«, fuhr der Mann inzwischen fort. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie gekommen sind und sich bereit erklärt haben, mich anzuhören. Ist es Ihnen angenehm, im Gehen zu reden, oder wollen Sie lieber stehen?«
»Ich ziehe es vor zu sitzen, Eduard Petrowitsch, besonders wenn ein langes Gespräch zu erwarten ist. Dabei wäre es wünschenswert, im Warmen zu sitzen. Mir ist wirklich etwas kalt.«
»Ich würde Sie mit Freuden zu mir nach Hause einladen, aber ich fürchte, daß Sie dazu nicht bereit sind. Wir könnten im Auto sprechen, da ist es warm, aber mir scheint, für ein erstes Treffen ist das Auto kein passender Ort. Wohin gehen wir? Ins Restaurant?«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Dann in eine Bar? Es gibt eine gleich nebenan, zwei Schritte von hier.«
»Einverstanden.« Nastja nickte kurz.
* * *
Sie bestellten jeder eine Tasse Kaffee und setzten sich in den hintersten Winkel der Bar. Denissow half Nastja aus der Jacke und hängte sie über die Lehne des Nachbarstuhls.
»Anastasija Pawlowna, ich beginne mit der Vorgeschichte, um alle Fragen zu zerstreuen, die sich Ihnen stellen könnten. Ich bin Geschäftsmann, und zwar ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann. Seit beinahe sieben Jahren investiere ich Geld und erziele äußerst hohe Gewinne und völlig legal. Es mag Ihnen seltsam erscheinen, aber ich verfresse mein Geld nicht, und ich verschwende es auch nicht für den Schmuck meiner Geliebten. Ich beschäftige mich mit dem Aufbau und der Entwicklung der STADT, in der ich geboren wurde und in der ich sterben werde. Natürlich mache ich das nicht allein. Wir haben einen Unternehmerverband, in dem meine Anhänger zusammengeschlossen sind, das heißt, die, die mit meiner Stadtentwicklungs- und Sozialpolitik einverstanden sind. Zusammen haben wir eine beträchtliche finanzielle Macht, die sowohl dem Bürgermeister als auch der Bevölkerung unserer STADT zugute kommt. Das Fest heute wird übrigens ebenfalls von uns finanziert, deshalb sind die Preise an den Ständen viel niedriger als üblich.«
»Das ist mir aufgefallen.« Nastja nickte.
»Ich habe mein ganzes Leben lang Geld gemacht«, fuhr Eduard Petrowitsch fort, »manchmal
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