Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
Folgen haben, wenn man sie unvorsichtig mit der Gabel aufspießt oder mit dem Messer schneidet. Es mag ja noch angehen, wenn der Gast sich bekleckert. Aber der Hausherr? Und der Hausherr ist in all diesen Fällen tatsächlich Herr der Lage. Er hat selbst das erste Töpfchen beiseite gestellt, den Inhalt daraus auf den Teller gelegt, und erst dann nimmt er Messer und Gabel. Die Tomate wird er vorsorglich nicht berühren und zu verstehen geben, daß das nur ein Farbfleck zur Freude der Augen ist. Und auch die Zangen für die Austern nimmt er vorsorglich als erster. Er will die anderen nicht erniedrigen, er verhält sich respektvoll gegenüber seinen Gästen. Wenn er will, versteht sich.
Alan verfügte über zahlreiche Informationen, wenn er mit Denissow das Menü besprach, sowohl über seine Beziehung zu den ›Freunden‹ als auch zu den Gegnern, die, mit Alans Hilfe gedemütigt, bei Tisch ins Schleudern gerieten und dann fast immer von ›Feinden‹ zu ›Kollegen‹ wurden, und manchmal auch zu ›Freunden‹. Aber Alans Interesse richtete sich nur auf das Anrichten und die Zubereitung der Speisen. Für die Angelegenheiten des Hausherrn selbst interessierte er sich nicht.
Auf das heutige Treffen bereitete sich Alan gewissenhaft vor. Es gab viel zu berücksichtigen: ein kranker Rücken, der Gast liebt Gemüse, aber nichts Scharfes, Salziges, und auch kein Fleisch . . . Gerade deshalb wählte Alan auf dem Markt sorgfältig den Fisch und das Gemüse aus: Blumenkohl, Kopfsalat, Auberginen. Keine Zwiebeln und kein Knoblauch. Er kaufte auch mehrere Schachteln Mentholzigaretten unterschiedlicher Marken (wer weiß schon, welche Sorte diese anspruchsvolle Besucherin vorzieht), Martini dry und guten Kaffee. Den Fisch wollte Alan auf dem Grill zubereiten. Auf dem Grill lagen schon glühende Birkenbriketts und daneben ein paar Eschenzweige, er würde sie unmittelbar vor dem Garwerden in die Glut legen, der Fisch bekommt von dem Rauch abschließend eine wunderbare, goldene Farbe . . .
* * *
Solange sie noch beim Fisch waren, war das Gespräch äußerst belanglos, und Nastja überredete Denissow, sie einfach beim Vornamen zu nennen, ohne Beifügung ihres Vatersnamens. Als Eduard Petrowitsch sich davon überzeugt hatte, daß sein Gast mit allem zufrieden und freundlich gestimmt war, ging er zur Hauptsache über.
»Darf ich Sie etwas fragen, Anastasija?«
»Versuchen Sie es.« Nastja lächelte, und war über ihre Leichtigkeit und Ruhe selbst verwundert. Die Angst, die sie während der letzten Stunden gespürt hatte, war wie weggeblasen.
»Wovon ließen Sie sich leiten, als Sie meinen Vorschlag überdachten? Ich möchte gerne wissen, was Sie zu einer Absage gebracht hätte und warum Sie schließlich doch zugesagt haben. Das ändert nichts an unserer Vereinbarung, aber es würde mir helfen, Sie zu verstehen. Wenn es Ihnen unangenehm ist, brauchen Sie nicht zu antworten«, fügte er gleich hinzu.
»Nein, warum denn, ich sage nur: Chanin.«
»Sie haben es erraten? Und wie?«
»Durch das Foto. Bei den Gegenständen des Toten fand sich das Hemd, das er auf dem Foto anhatte. Das Hemd ist ganz neu, es war nicht einmal gewaschen. Und der Kragen, verzeihen Sie die Details, ist nicht schmutzig. Er hat es nur ein, zwei Tage getragen. Dieses Foto konnte Chanin einfach nicht gehabt haben, es wurde in den wenigen Tagen aufgenommen, die Alferow im Sanatorium war. Sehen Sie, wie einfach das ist.«
»Tatsächlich sehr einfach. Und wie hat es sich auf Ihre Entscheidung ausgewirkt?«
»Ich hatte Angst, daß es Ihr Interesse ist, den wahren Mörder zu decken. In diesem Fall hätte ich abgelehnt. Außerdem hatte ich Angst, daß Sie mich für gefährlich halten, weil ich nicht an die Geschichte mit Chanin glaube. In dem Fall hätte ich die STADT verlassen, ich hätte es nicht mit Ihnen aufnehmen können. Aber Sie gaben mir klar zu verstehen, daß das nicht so ist.«
»Und wann gab ich Ihnen das zu verstehen?«
»Das tut nichts zur Sache. Haben Sie von Charlotte Armstrong gehört?«
»Nein, nie. Wer ist das?«
»Eine Krimiautorin. Von ihr stammt die Erzählung ›Bewahr dein Gesicht‹. Sie handelt von einem jungen Mädchen, auf das zufällig ein paar Verbrecher aufmerksam werden und das, ohne dies zu ahnen, all ihre Pläne zerstört. Wissen Sie warum? Weil es kein falsches Spiel kennt und unfähig ist, sich zu verstellen, und mit seiner Geradlinigkeit die Verbrecher in die Enge treibt. Damit meine ich, daß es vermutlich besser ist, wenn
Weitere Kostenlose Bücher