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Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Titel: Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Dieses Mal war Nastja auf das Treffen vorbereitet, entsprechend gekleidet (soweit das ihre bescheidene Garderobe zuließ, die auf einen ruhigen Kuraufenthalt im Sanatorium zugeschnitten war), frisiert, und sie hatte sogar Make-up aufgelegt, das ihr farbloses Gesicht ausdrucksvoll und interessant machte.
    Ein untersetzter, fülliger Mensch mit ernstem Gesicht und klugen Augen betrat das Zimmer. Er begann ohne Umschweife:
    »Anastasija Pawlowna, ich habe den Auftrag erhalten, Sie zu einem Treffen mit dem Menschen einzuladen, der an Ihrer Hilfe größtes Interesse hat. Die Umstände erlauben es ihm nicht, persönlich hierherzukommen. Aber er erwartet Sie mit Ungeduld.«
    »Warum kann er nicht persönlich kommen? Ist er Invalide?«
    »Er ist kein Invalide, aber . . .«
    »So läuft es nicht«, unterbrach ihn Nastja. »Erstens stellen Sie sich vor, seien Sie so freundlich.«
    »Anatolij Wladimirowitsch Starkow.«
    »Und wer sind Sie, Anatolij Wladimirowitsch? Wo und in welcher Funktion arbeiten Sie?«
    »Ich bin Chef der Sicherheitsabteilung einer Kommerzbank. Hier sind meine Papiere.« Er reichte Nastja seinen Dienstausweis.
    »Zweitens möchte ich wissen, um welche Angelegenheit es sich handelt, und warum Ihr Chef. . .«
    »Mein Freund«, korrigierte sie Starkow sanft.
    »Ihr Chef«, parierte Nastja ebenso sanft. »Warum kann er also nicht hierherkommen? Hängt es damit zusammen, daß er sich versteckt und nicht aus seinem Loch kommen will?«
    »Keineswegs, Anastasija Pawlowna. Ich bin nicht befugt, die Angelegenheit ohne ihn zu erörtern. Aber er ist eine völlig integre Person. Mehr noch, heute ist in unserer STADT ein Fest, und er wird daran teilnehmen. Und ich möchte Sie zu diesem Fest einladen. Wir verstehen Ihre Befürchtungen, deshalb schlagen wir vor, das Treffen an einem öffentlichen, bevölkerten Ort durchzuführen.«
    »Fahren wir«, sagte Nastja entschlossen und nahm Jacke und Schal aus dem Schrank.
    * * *
    »Was ist das heute für ein Fest?« fragte sie, als sie in dem blitzenden Auto saß und sich zum wiederholten Male darüber ärgerte, daß sie es nicht schaffte, sich die ausländischen Marken zu merken.
    »Sie müssen wissen, daß es in unserer STADT ziemlich viele Katholiken gibt. Das hat sich geschichtlich so ergeben. Im Westen feiert man um diese Zeit Allerheiligen. Bei uns kennt man das nicht, aber warum sollte man den Gläubigen nicht die Möglichkeit zum Feiern geben? Gleichzeitig vergnügen sich auch alle anderen. In unserer STADT gibt es ständig lustige Feste, es wird Ihnen gefallen.«
    »Das hoffe ich«, sagte Nastja trocken und drehte sich zum Fenster.
    Das Auto hielt im Stadtzentrum an. »Den Rest müssen wir zu Fuß gehen, Anastasija Pawlowna, während der Feste ist hier Fußgängerzone. Gehen wir, es ist nicht weit.«
    Sie waren etwa fünfhundert Meter auf der breiten Straße gegangen, als Starkow stehenblieb.
    »Ich verlasse Sie jetzt, Anastasija Pawlowna. Sie gehen hier spazieren, gehen Sie nur nicht weit weg. Man wird an Sie herantreten.«
    »Und muß ich lange Spazierengehen?« fragte sie unwillig.
    »Man wird Sie nicht warten lassen.«
    Die STADT machte auf Nastja einen eigenartig angenehmen Eindruck. Sogar heute, wo alle Straßen mit Fußgängern bevölkert waren, blieb die STADT gemütlich. Hier ist es sicher angenehm zu wohnen und zu arbeiten, dachte sie und unterbrach sich im selben Augenblick. Was für ein dummer Gedanke. Leben und arbeiten, leben und arbeiten . . . Und alle leben und arbeiten, arbeiten, arbeiten. Ich setze nicht einmal irgendwelche Gefühle in den Menschen voraus, als wären sie irgendwelche Automaten. Und alle sterben still, einer nach dem andern, wie sie eben zusammenbrechen. Und ich werde auch zusammenbrechen, wenn ich mich wie ein Roboter aufführe. Mein Gott, woran denke ich nur! Genau das bin ich –ein moralisches Monstrum.
    Sie sah, wie sich die Menschen aufrichtig über dieses halb religiöse und halb weltliche Fest freuten. Nein, das sind keine Idioten, die hiesigen Stadtväter, beileibe nicht, dachte Nastja. Die Menschen sind ja an einen Feiertag Anfang November gewöhnt. Ob der rote Kalendertag zur Revolution nun abgeschafft ist oder weiterlebt, das ist völlig unklar, und das gewohnte Spielzeug zur Besänftigung – hier ist es, nur eine Woche früher. Und es kommt wirklich gut! An jeder Ecke ein Stand mit Kaffee, belegten Broten und Kuchen zu lächerlichen Preisen. Es gibt auch was Kräftigeres, aber in der Kälte und mit einer guten Grundlage

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