Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
wollte sich in dem gemütlichen Eckchen zwischen den beiden Ständen einrichten. Niemand, der sie dort sah, würde auf die Idee kommen, daß sie sich versteckte oder jemanden beobachtete.
Sie begann, in ihrer Handtasche nach einem Feuerzeug zu kramen, doch die Tüte mit den neuen Kleidern behinderte sie, ständig entglitt ihr die Handtasche, in der ihre Finger zwischen der Vielzahl anderer Utensilien erfolglos nach dem Feuerzeug tasteten. Sie blickte sich hilfesuchend um und begegnete den Augen eines hochgewachsenen, etwa fünfzigjährigen Mannes, der rauchend an einer Wand des Blumenstandes lehnte und sie mit einem belustigten Lächeln beobachtete. Er nahm sofort ein Feuerzeug aus seiner Jackentasche und bot ihr Feuer an.
»Danke«, murmelte Nastja, während sie mit dem verklemmten Reißverschluß an ihrer Handtasche beschäftigt war und gleichzeitig damit, die ihr entgleitende Tüte festzuhalten.
Zehn nach acht trat Dascha Sundijewa aus dem »Orion«, zusammen mit der Verkäuferin aus der Souvenirabteilung. Die beiden entfernten sich in Richtung Bushaltestelle, der Mann in der braunen Lederjacke ging gemächlich zu seinem Audi, den er in der Nähe geparkt hatte. Er ließ den Wagen an und fuhr im Schrittempo am Gehsteig entlang. Nastja konnte sehen, wie die zwei Mädchen in den Bus einstiegen, wie der Bus anfuhr und wie der Audi ihm folgte. Und das alles gefiel Nastja Kamenskaja, Majorin der Miliz, ganz und gar nicht.
2
Er schob das Feuerzeug zurück in die Hosentasche und lehnte sich wieder an die Kioskwand. Jerochin würde also wieder diese kleine Blondine vor dem Geschäft abfangen. Das bedeutete, daß sich auch am heutigen Abend nichts ergeben würde. Igor würde der Frau bis an die Stelle folgen, wo sie sich mit ihrem Verehrer traf, er würde die beiden weiter verfolgen bis zu dem Lokal, in dem sie zu Abend essen würden, danach würde der Verehrer die kleine Blondine nach Hause fahren, und dann würde auch Igor selbst nach Hause fahren, wie immer. Auf diesen Strecken bot sich nirgends eine günstige Gelegenheit.
Der Mann sah zu Jerochin hinüber, der bereits den dritten Hamburger innerhalb einer Stunde verzehrte und dachte mit der üblichen Verwunderung daran, daß dieser junge, erst dreiundzwanzigjährige Bursche in seinem kurzen Leben bereits zwei Menschen umgebracht und drei weitere ins Verderben gestürzt hatte. Dabei sah er aus wie ein ganz gewöhnlicher, nicht einmal unsympathischer Mensch, an dem nichts Besonderes auffiel. Ob er selbst wenigstens wußte, wieviel Böses er in seinem kurzen Leben bereits angerichtet hatte? Nein, wahrscheinlich verschwendete er keinen Gedanken an diese Frage.
Der Mann streifte mit einem kurzen Blick die junge Frau, der er Feuer gegeben hatte. Sie stand in Jeans und einer blauen Windjacke in einem Winkel zwischen zwei Kiosk wänden und wartete offenbar auf jemanden. Ihr Gesicht drückte grenzenlose Geduld aus, die Bereitschaft, hier so lange zu stehen, wie es nötig war, und ohne jedes Anzeichen von Unruhe oder Verärgerung zu warten. Er grinste. Ein solches Mauerblümchen konnte sich natürlich keine Widerspenstigkeiten leisten, sie würde auch bis morgen früh hier stehen und klaglos auf ihren Freund warten, und sie würde es nie wagen, ihm einen Vorwurf wegen seiner Verspätung zu machen. Nach ihrer Haltung und ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, war sie das Warten gewöhnt.
Der Mann löste sich von der Kioskwand und ging zu seinem weißen Shiguli. Früher oder später würde Igor aufhören, seine ganze freie Zeit der Beschattung der blonden Verkäuferin zu opfern, und an den Abenden wieder zu seiner Freundin fahren, die an einem sehr günstigen Ort wohnte. In der Nähe ihres Hauses befand sich ein wüstes, unbebautes Gelände. Jerochin bangte immer um seinen Audi und ließ ihn über Nacht nie unbeaufsichtigt stehen. Er suchte und fand überall einen bewachten Parkplatz und gab viel Geld für die Wächter aus, damit sie den Wagen über Nacht in ihre Obhut nahmen. Dort, wo Jerochins Freundin wohnte, war der nächste bewachte Parkplatz ziemlich weit entfernt. Um den Weg abzukürzen, mußte man über das dunkle, unbebaute Gelände gehen. Der Mann wartete auf den Tag, an dem Igor zeitig morgens über dieses unheilschwangere Terrain zu seinem geliebten Audi eilen würde. Der Morgen war die ungefährlichste Zeit. Die Menschen waren noch schläfrig, unkontrolliert. Und wer schon wach und ganz bei Sinnen war, hatte es um diese Zeit eilig. Das galt sowohl für die Miliz
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