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Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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geschehen war. Vakar wußte immer, worin seine Soldatenpflicht bestand. Und er wußte immer, was seine Pflicht als Ehemann und Vater war. Er mußte seine Familie beschützen und erhalten. Wenn er schon nicht in der Lage gewesen war, ihr Glück zu erhalten, dann mußte er wenigstens für ihren Frieden sorgen. Wie und auf welche Weise er das bewerkstelligte, ging niemanden etwas an. Entscheidend war nur das Ergebnis.
    Als die Familie das Unglück ereilte, wußte Vakar, daß es seine Pflicht war, alles Mögliche und Unmögliche zu tun, um seiner Frau und seiner Tochter das seelische Gleichgewicht wiederzugeben. Er war der Ehemann und Vater, und wer war verantwortlich, wenn nicht er.
    Anfangs glaubte er, er würde mit einem blauen Auge davonkommen.
    »Ich kann mich nicht an Kindern rächen«, sagte er zu Jelena.
    »Gut, ich werde warten, bis sie erwachsen sind«, antwortete sie.
    Drei von ihnen waren dreizehn Jahre alt, einer war genau am Tag des Mordes vierzehn geworden. Anläßlich des Geburtstags hatten die vier sich betrunken und zum Kartenspielen zusammengesetzt, mit ihnen der ältere Bruder des Geburtstagskindes, der ein unverbesserlicher Krimineller war und als Fleischhauer arbeitete. Sie spielten in einem Nebenraum des Geschäfts, in dem der Bruder beschäftigt war. Die Spielschuld der vier Jungen wurde immer horrender, aber sie machten sich nichts daraus, sie glaubten, es sei nicht ernst. Doch der Fleischhauer namens Oreschkin, der ältere Bruder von Jurij Oreschkin, erklärte, er habe wie mit Erwachsenen mit ihnen gespielt, er habe seine kostbare Zeit verschwendet und wolle, bitte schön, seinen Gewinn sehen. Die Halbwüchsigen hatten natürlich kein Geld, und so wurde beschlossen, die Spielschuld »amerikanisch« zu bezahlen. Der erstbeste Junge in einer blauen Jacke, der draußen auf der Straße vorüberging, sollte das Opfer sein. Die Jungen, volltrunken und den Anweisungen des mehrfach Vorbestraften völlig unterworfen, griffen sich Messer, gingen vor die Tür des Geschäfts und warteten geduldig auf das Auftauchen eines Jungen in einer blauen Jacke. Es regnete in Strömen, die Straße war fast menschenleer, das Opfer ließ lange auf sich warten. Aber schließlich erschien es doch.
    Die Untersuchungsführerin erklärte Vakar, daß ein Vierzehnjähriger nach dem Gesetz erst vierundzwanzig Stunden nach seinem Geburtstag als Vierzehnjähriger gilt. Jurij Oreschkin hatte den Mord zwar an seinem vierzehnten Geburtstag begangen, aber vor Mitternacht. Aus diesem Grund galt er zur Tatzeit noch als Dreizehnjähriger und war deshalb nicht strafmündig. Die anderen drei wurden erst in drei, vier Monaten vierzehn.
    Es mußten noch vier Jahre vergehen, bis die Täter volljährig waren, und Wladimir Vakar hoffte, daß seine Frau und seine Tochter in dieser Zeit zur Besinnung kommen und ihre wahnsinnige Idee aufgeben würden. Die vier Jahre waren ein Alptraum. Die Wohnung war zu einem Mausoleum geworden, ewige Trauerkleidung, ständige Kirchgänge, Kerzen, Ikonen, Lämpchen, unentwegte Gespräche über die unschuldige, un-gerächte Seele des Kindes, die ruhelos umherschwebte . . . Vakar war drauf und dran, den Verstand zu verlieren. Doch niemals kam es ihm in den Sinn, seine Frau zu verlassen oder sie zu hassen zu beginnen. Was immer Jelena tat, zu welchen Abscheulichkeiten sie auch fähig war, er würde sie immer und um jeden Preis lieben, ganz einfach deshalb, weil sie die Mutter seiner Kinder war, seine Frau, die ihm das Schicksal zugeteilt hatte bis zu seinem Tod. Und es war seine Mannespflicht, Jelena zu beschützen und ihre innere Ruhe wiederherzustellen.
    1989, vier Jahre nach Andrjuschas Tod, erinnerte ihn Jelena.
    »In diesem Jahr werden sie achtzehn. Ich warte darauf, daß du dein Versprechen erfüllst. Und Andrjuscha wartet auch darauf, vergiß das nicht.«
    Vakar holte Informationen über die vier Täter ein. Jurij Oreschkin war soeben aus der Kolonie entlassen worden, wo er eine Strafe wegen böswilligen Rowdytums abgebüßt hatte. Er war von der Wehrpflicht befreit, für die anderen drei begann der Armeedienst. Vakar atmete erleichtert auf. Er hatte zwei Jahre Aufschub bekommen. Doch die Zustände zu Hause wurden immer unerträglicher.
    Zu dieser Zeit meldete er sich zum Kriegsdienst nach Berg Karabach. In den zwei Jahren, in denen die Mörder seines Sohnes bei der Armee dienten, beteiligte er sich an den Kämpfen, ließ sich an ihren Brennpunkten einsetzen, nur um so wenig wie möglich zu Hause sein zu

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