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Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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müssen, bei seiner Frau, die nicht aufhörte, ihn mit Vorwürfen zu überschütten.
    Nachdem die zwei Jahre vorüber waren, konfrontierte Jelena ihn erneut mit ihrem grausamen Ansinnen.
    »Du hast keinen Grund mehr, die Sache auf die lange Bank zu schieben. Entweder du tust es jetzt, oder ich suche mir Leute, die ich bezahlen und die es an deiner Stelle tun werden.«
    Vakar dachte mit Entsetzen daran, daß Jelena tatsächlich Leute anheuern und dafür bezahlen würde, daß sie vier Morde begingen. Wenn die Täter gefaßt würden, würde Jelena mit ihnen zusammen ins Gefängnis gehen. Das konnte er nicht zulassen.
    Oreschkin begegnete er zufällig. Er entdeckte ihn in einer kilometerlangen Warteschlange, in der er nach Wodka anstand, ein betrunkenes, verkommenes Scheusal. Wladimir beobachtete ihn aus einiger Entfernung. Oreschkin handelte mit Warteplätzen. Er arbeitete sich langsam nach vorne durch, dann ging er zum Ende der Schlange zurück und bot seinen Platz an der Spitze für drei Rubel an. Es setzte ein feiner Sprühregen ein, Vakar versteckte sich in einer Toreinfahrt. Dort stand er und ließ die unrasierte, geschwollene Fratze nicht aus den Augen. Das ist kein Mensch, dachte Wladimir, das ist schon lange kein Mensch mehr, sondern nur noch ein schlecht funktionierender Organismus. Und dieses Ungeheuer, diese nichtswürdige Kreatur, hatte seinen Sohn umgebracht.
    Oreschkin hatte seinen Platz in der Warteschlange verkauft, schob den zerknautschten Dreier in seine Hosentasche und näherte sich der Toreinfahrt, in der Vakar stand. Ohne den Fremden neben sich zu beachten, öffnete er seine Hose und begann zu urinieren.
    »He, dies hier ist keine öffentliche Bedürfnisanstalt«, sagte Vakar in durchaus ruhigem und friedliebendem Ton. Die Antwort war ein so schmutziger Schwall an Flüchen, wie Vakar ihn noch in keiner einzigen Armeekaserne vernommen hatte, und er hatte in seinem Leben nicht wenige Kasernen kennengelernt. Die Flüche verbanden sich mit einem entsetzlichen Gestank, der von Oreschkin und seinem widerlichen Schandmaul ausging. Wladimir kam nicht einmal dazu, sich auf den Schlag vorzubereiten. Er tat es einfach, kurz, heftig, automatisch. Wie er es als Einzelkämpfer bei der Luftlandedivision gelernt hatte. Professionelle Fertigkeit im lautlosen Töten, gepaart mit Haß und Ekel.
    Oreschkin war sofort tot. Sein Körper lag wie ein eingefallener Sack zu Wladimirs Füßen. In der Toreinfahrt roch es nach Katzen und nach Urin, auf der Straße regnete es, die Leute standen nach Wodka an. Alles war wie immer. Nichts hatte sich verändert. General Vakar war zum Mörder geworden. Es war Herbst des Jahres 1992.
    Er durchwühlte Oreschkins Taschen und fand einen speckigen Paß. Er steckte ihn ein, verließ ruhigen Schrittes die Toreinfahrt und ging nach Hause. Er wohnte in der Nachbarstraße.
    Zu Hause reichte er seiner Frau wortlos Oreschkins schmutzigen Paß. Ihr Gesicht hellte sich auf.
    »Herr, dein Wille hat sich erfüllt«, sagte sie feierlich. »Endlich ist unser Festtag gekommen.«
    An diesem Tag füllte sich die Wohnung zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder mit dem Geruch nach frischem Kuchen, und Wladimir erkannte das entfernte Aroma wieder, das sich ihm mit jenem Familienleben verband, von dem er in der Kindheit geträumt und das er später zu verwirklichen versucht hatte. Und nachts ließ Jelena ihn zum ersten Mal seit dem Tod des Sohnes wieder in ihr Bett.
    Er hatte nicht erwartet, daß der Mord ihn so wenig beunruhigen würde. Er hatte geglaubt, daß er leiden, sich quälen, sich zermartern und womöglich betrinken würde. Doch nichts dergleichen geschah. Vakar hatte das Gefühl, er hätte eine schmutzige Kakerlake zerquetscht, die sich auf einen sauberen Küchentisch verirrt hatte.
    Als zweiter war Nikolaj Sakuschnjak an der Reihe, ein kleiner Erpresser, der Schutzgelder auf den großen und kleinen Märkten der Stadt kassierte, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Hinter ihm war Vakar einige Monate her, bis sich eine günstige Gelegenheit ergab. Sakuschnjak hatte sein Auto in die Werkstatt gebracht und mußte einige Tage zu Fuß gehen oder die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Vakar lauerte ihm auf, als er spätabends von der Wohnung seiner Freundin nach Hause ging.
    »Kolja!« rief Vakar ihn an, während er sein Auto neben ihm abbremste. »Nikolaj!«
    Sakuschnjak blieb stehen und blickte verständnislos auf den soliden älteren Herrn hinter dem Steuer.
    »Meinen Sie mich?« fragte er

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