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Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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gezogen. Wenn es so war, dann durfte er Artjom davon nichts sagen. Er würde ihm den Kopf abreißen und das ihm zustehende Geld einbehalten, seine Strafen für Fahrlässigkeiten waren drastisch und grausam. Aber wie wäre es, dachte Igor, wenn ich mir den Mann selbst vornehme und dadurch womöglich unseren Konkurrenten auf die Spur komme? Dann wird Artjom mich nicht nur loben, sondern, so Gott will, auch meinen Anteil erhöhen.
    Er blickte sich nach allen Seiten um, doch der Mann war nirgends mehr zu sehen. Nachdem er eine kurze Strecke gefahren war, vorbei an zwei Häuserblocks, bemerkte Jerochin einen weißen Shiguli, der ihm folgte. Er erhöhte die Fahrgeschwindigkeit, doch der Shiguli blieb dicht hinter ihm. Daraufhin drosselte er die Geschwindigkeit abrupt, und der Wagen überholte ihn. Hinter dem Steuer saß der bewußte Mann, er fuhr vorbei, ohne den Kopf zu wenden. War das alles vielleicht doch nur ein Zufall? Für alle Fälle merkte sich Igor aber die Autonummer.
    Nachdem er noch einige Erledigungen gemacht hatte, fuhr Jerochin nach Hause. Er wäre liebend gern zum Übernachten zu Lora gefahren, doch sie wohnte in einem Neubaugebiet, wo es noch keine Telefonanschlüsse gab, und Resnikow hatte ihm den strengen Befehl erteilt, zu Hause zu übernachten, solange die Sache mit den Konkurrenten nicht geklärt war. Es konnte schließlich jeden Moment etwas passieren, und jeder von ihnen mußte Tag und Nacht erreichbar sein. Lora konnte über Nacht nicht zu ihm kommen, sie hatte ein kleines Kind.
    Igor wohnte in einer winzigen Einzimmerwohnung, der billigsten, die er hatte finden können. Er hatte die Wohnung von dem Geld gekauft, das er als Weberschiffchen verdiente. Von dem anderen, dem großen Geld, hatte er noch nie etwas gesehen. Dieses Geld wurde auf das Konto einer westeuropäischen Bank überwiesen. Wenn sich genug angesammelt hatte, würde Igor Rußland verlassen und ein neues Leben beginnen können, das jedenfalls versprach ihm Artjom.
    Jerochins Mutter wohnte nach wie vor in dem Haus, wo er seine Kindheit verbracht hatte. Manchmal besuchte er seine Mutter, wenn auch sehr widerwillig. Sie begann sofort zu jammern und zu klagen, weil er nicht studierte und nicht arbeitete, wie alle anständigen Leute, sondern sich mit Spekulanten eingelassen hatte. Die alte Frau konnte nicht begreifen, daß es heute keine Spekulanten mehr gab, sondern nur noch freien Handel. Und mit einem Universitätsdiplom konnte man sich den Hintern abwischen, das war das einzige, wofür so ein Papier heute noch gut war. Artjom zum Beispiel hatte ein abgeschlossenes Studium, er hatte als Wissenschaftler gearbeitet und sogar den Doktor gemacht. Was hatte er davon? Rein gar nichts. Mit so etwas konnte man heute kein Geld mehr verdienen. Außer Kopfschmerzen brachte einem eine Dissertation nichts mehr ein. Und Artjom war kein Dummkopf. Wenn er aus dem Staatsdienst ausgeschieden war und sich für den freien Handel entschieden hatte, dann mußte das seine Richtigkeit haben.
    Doch trotz aller Nörgelei mußte Igor seine Mutter wenigstens ab und zu besuchen. Morgen, beschloß er, morgen fahre ich zu ihr. Ich decke sie mit Fressalien ein, solchen von der besseren Sorte, denn sie beschwert sich ja immer, daß ich sie nicht unterstütze. Wenn man ihr zuhört, könnte man glauben, sie hätte außer mir keine Kinder. Aber Ljuska und Genka zählen ja nicht. Sie sind Hungerleider, während ich der Dukatenesel bin und sie alle am Leben erhalten muß. Zwei ausgewachsene Schafsköpfe, die nur darauf warten, sich mir auf die Tasche zu legen. Aber da haben sie sich getäuscht! Der Mutter muß ich helfen, das ist meine heilige Pflicht, aber die andern beiden sollen sehen, wie sie allein zurechtkommen.
    Der Whiskey, den Igor zum Abendessen getrunken hatte, hatte ihm angenehm den Kopf vernebelt, doch inzwischen war die Wirkung wieder verflogen. Bevor er zu Bett ging, kippte Jerochin noch ein halbes Wasserglas Wodka hinunter. Der Gedanke an den Mann im weißen Shiguli beunruhigte ihn, und er wollte sich ordentlich ausschlafen.
    4
    Nachdem General Vakar Jerochins Wagen überholt hatte, fuhr er nach Hause. Warum hatte der Bursche plötzlich so stark gebremst? Hatte er ihn etwa bemerkt? Sehr spaßig. Aber völlig bedeutungslos. Früher oder später würde Vakar ihn sowieso umbringen. Natürlich hätte er es lieber vermieden, aber da es nicht zu vermeiden war . . .
    Er trat aus dem Lift und erblickte Lisa, die mit einem Mantel über den Schultern und einer

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