Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
Lisa bekannt.«
»Und wie stehen Sie zu ihr?«
Sotnikow sah Nastja mit einem befremdeten, vorwurfsvollen Blick an.
»Was tut das zur Sache?«
»Nichts. Ich habe nur gefragt. Liebt Lisa Sie?«
»Wahrscheinlich.«
»Und Sie?«
»Anastasija Pawlowna, Sie sind gekommen, um mit mir über Lisas Vater zu sprechen und nicht über Lisa und mich. Habe ich recht?«
»Ja, Sie haben recht. Aber da Sie Lisas Vater nicht sehr gut kennen, könnten mir Ihre Auskünfte über seine Tochter vielleicht dabei helfen, seinen Charakter etwas besser zu verstehen.«
»Lisa . . . Nun, Lisa steht voll und ganz unter dem Einfluß ihrer Mutter. Sie geht jede Woche zum Friedhof und diskutiert allen Ernstes die Frage, ob Andrjuscha die Blumen gefallen haben, die sie ihm aufs Grab gestellt hat.«
»Glaubt Jelena Viktorowna etwa an die Unsterblichkeit der Seele?«
»Und wie sie daran glaubt! Sie geht zur Kirche und zwingt auch Lisa dazu. Sie hat sich sogar taufen lassen. Lisa sagt, daß die Taufpatin für ihre Mutter der einzige Lichtblick ist. Eine unantastbare Autorität.«
Nastjas Unterredung mit Sotnikow dauerte eine Stunde. Nach Ablauf dieser Zeit hatte sie sich ein ziemlich genaues Bild von der Lebenssituation des Generals gemacht und zweifelte nicht mehr daran, daß der Schlüssel zu dem unzugänglichen Zeugen genau in dieser Situation zu suchen war.
Nachdem sie Sotnikow verlassen hatte, rief sie Bokr an und erzählte ihm von der Kirche, die Jelena Vakar besuchte.
»Dort schwirrt auch eine gewisse Tante Ljuba herum, Jelenas Taufpatin. Schauen Sie sich die Dame doch mal etwas genauer an. Ich muß mich mit ihr unterhalten.«
»Bei uns gibt es auch Neuigkeiten«, sagte Bokr. »Resnikow ist aktiv geworden, ich erzähle Ihnen abends davon.«
Gegen Ende des Arbeitstages rief Gordejew Nastja zu sich. Sein Gesicht war gerötet vor Wut.
»Du bist ein durchtriebenes kleines Aas«, fuhr er Nastja an, kaum daß sie über die Schwelle seines Büros getreten war. »Warum zum Teufel hast du mir verschwiegen, daß Resnikow Zugang zu militärischen Objekten hatte? Ich habe versucht, Erkundigungen über ihn einzuziehen, aber sie haben mir nicht nur was gehustet, sondern sofort versucht, Informationen aus mir herauszupressen.«
»Das habe ich nicht gewußt«, sagte Nastja verwirrt, »Ehrenwort, ich habe es nicht gewußt. Über solche Informationen verfügte ich nicht.«
»Du hast es nicht gewußt? Das ist schlecht. Und wo haben deine hochgelobten Banditen hingeschaut? Jetzt können wir darauf warten, daß unser heldenmütiger Abwehrdienst uns das gesamte Material aus den Händen reißt, einschließlich des Falles Maluschkin. Du hast die Nuß schon fast geknackt, wenn ich es recht verstehe, aber die Lorbeeren werden wieder einmal sie ernten. Der Teufel muß mich geritten haben, daß ich mich dir zuliebe nach Resnikow erkundigt habe.«
»Warum regen Sie sich auf, Viktor Alexejewitsch?« versuchte Nastja zu beschwichtigen. »Ist doch egal, wer die Lorbeeren erntet, oder?«
»Egal?« brauste Knüppelchen auf. »Und deine Arbeit? Deine Nerven? Jeder Fall fordert dein Herzblut, dein gesamtes Talent, du lebst mit diesem Fall, kannst nachts nicht schlafen, riskierst dein Leben, verlierst den Appetit, jeder Fortschritt bei der Aufklärung macht dich glücklich, jeder Fehler, den du begehst, läßt dich verzweifeln. Jeder Fall, den du bearbeitest, ist ein Kind, das du aufziehst, mit dem zusammen du wächst, dessen Entwicklung, dessen Leiden und Krankheiten du teilst. Und dann kommt irgendein fremder Onkel und nimmt dir dieses von dir großgezogene Kind weg, er adoptiert es und erzählt allen, was für ein prächtiges Söhnchen er hat. Und alle beglückwünschen ihn. Als mir das zum ersten Mal passierte, war ich sogar noch etwas jünger als du. Und das hat mir damals ganz und gar nicht gefallen. Später passierte es immer wieder, und es mißfiel mir von Mal zu Mal mehr. Erst recht mißfällt es mir jetzt, wo wir dabei sind, den Mord an einem Milizionär aufzuklären, an einem Kollegen. Für uns, unter anderem auch für dich, meine Liebe, ist das eine Frage der Ehre. In jedem Land der Welt, das etwas auf sich hält, bringt ein Polizistenmord den ganzen Berufsstand auf die Beine. Du beißt dir an Vakar sämtliche Zähne aus, um eine Aussage von ihm zu bekommen, und bist bereit, der Abwehr einfach so, um der schönen Augen willen, Maluschkins Mörder auf dem Silbertablett zu servieren, mit Schwüren ewiger Liebe. Hast du denn überhaupt keinen Ehrgeiz im
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