Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
gesehen hat, mit wem Maluschkin die Metrostation verlassen hat, aber bis jetzt ist es ihnen noch nicht gelungen. Mein Gespräch mit Ihnen ist ein weiterer Versuch, so einen Zeugen zu finden.«
»Verzeihen Sie, Anastasija Pawlowna, irgend etwas stimmt an Ihren Ausführungen nicht«, bemerkte Vakar. »Sie haben mir eben gesagt, daß nach Ihren Erkenntnissen Igor Jerochin den Milizionär getötet hat. Also wissen Sie doch, mit wem Maluschkin die Metrostation verlassen hat. Wozu brauchen Sie da noch Zeugen?«
Mit dir ist es nicht einfach, General, dachte Nastja. Du willst nicht lügen, du hast offenbar Prinzipien. Aber die Wahrheit willst du mir auch nicht sagen. Und trotzdem hast du dich verraten. Habe ich denn etwas davon gesagt, daß der Mann, mit dem Maluschkin die Metrostation verlassen hat, und derjenige, der ihn umgebracht hat, ein und dieselbe Person sind? Nein, General, ich habe nichts dergleichen gesagt. Das hast du gesagt, weil du alles gesehen hast.
»Sehen Sie, Wladimir Sergejewitsch, das, was ich weiß, ist eine Sache, und das, was die Grundlage für die Erhebung einer Anklage schafft, eine ganz andere. Tausende von Verbrechern sind auf freiem Fuß, obwohl es auf der Hand liegt, daß sie schuldig sind, aber der Kripo fehlen die Beweise. ›Ich weiß‹ und ›Ich kann beweisen‹ – das sind völlig verschiedene Dinge. Ich habe nur Indizien gegen Jerochin, und die nützen mir überhaupt nichts. Und wenn ich ganze Waggons davon hätte. Ich brauche einen einzigen direkten Beweis. Die Aussage eines Zeugen, der gesehen hat, daß Maluschkin zusammen mit Jerochin die Baustelle betreten und daß Jerochin kurz darauf den Ort allein wieder verlassen hat, könnte so ein Beweis sein. Das wäre die Lokomotive, an die man die Waggons anhängen könnte. Verstehen Sie jetzt den Grund meiner Fragen?«
»Ja. Aber ich möchte trotzdem nicht antworten.«
»Warum nicht?«
»Weil ich nicht möchte«, sagte der General mit gleichmütiger Stimme.
»Ich verstehe«, antwortete Nastja ebenso gleichmütig. Sie hatte nichts anderes erwartet. Sie rauchten beide schweigend, ohne noch ein weiteres Wort zu wechseln. Vakar machte keine Anstalten wegzugehen, und Nastja wußte das zu würdigen.
»Haben Sie mich eigentlich erkannt, Wladimir Sergejewitsch?« fragte sie plötzlich.
»Ja, ich habe Sie erkannt.«
»Darf ich fragen, was Sie an jenem Tag auf dem Twerskoj Boulevard gemacht haben?«
»Ich habe eingekauft.«
»Wußten Sie, daß an der Stelle, wo wir uns begegnet sind, nur wenige Meter von uns entfernt, auch Igor Jerochin stand?«
»Ja, ich habe ihn gesehen.«
Der Teufel soll dich holen, General, warum lügst du nicht? fragte Nastja sich verstimmt. Wenn du versuchen würdest, die Unwahrheit zu sagen, würde ich dich sofort an der Kehle packen und nicht mehr loslassen. Aber du bringst es fertig, mir die Wahrheit so zu sagen, daß ich nirgends einhaken kann.
»Und sind Sie schon einmal auf dem Warenmarkt von Konkowo gewesen?«
»Ja.«
»Haben Sie Jerochin dort auch getroffen?«
»Ja. Aber ist Konkowo nicht ziemlich weit entfernt von der Taganskaja-Straße? Mir entgeht schon wieder der Sinn Ihrer Fragen, Anastasija Pawlowna.«
Wieder trat drückendes Schweigen ein. Nastja hatte das Gefühl, sich wie ein Karussellpferd im Kreis zu bewegen und nicht ausbrechen zu können aus dem Kreis.
»Wladimir Sergejewitsch, ich weiß etwas mehr, als Sie glauben. Doch bevor ich offen mit Ihnen zu sprechen beginne, möchte ich Ihnen folgendes sagen. Zwischen meinem Wissen und einem Gerichtsurteil liegen Welten. Jetzt und hier auf dieser Bank bin ich keine Amtsperson, ich habe keinen Protokollblock bei mir, ich schreibe nichts auf, und nichts von dem, was Sie mir sagen, kann gegen Sie verwendet werden, solange Sie es nicht an offizieller Stelle wiederholen. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja«, antwortete der General in bereits gewohnter Kürze.
»Verfolgen Sie Jerochin, weil Sie ihn umbringen wollen?«
Das erneute Schweigen zwischen den beiden war jetzt wie elektrisch aufgeladen. Nastja hatte das Gefühl, sie würde im nächsten Moment ohnmächtig werden vor Anspannung, wenn der General nicht zu reden beginnen würde.
»Ich möchte auf Ihre Frage nicht antworten«, sagte er schließlich.
»Im Jahr 1992 haben Sie Jurij Oreschkin umgebracht, im Jahr 1993 Sakuschnjak und Gabdrachmanow. Jetzt ist Igor Jerochin an der Reihe. Begreifen Sie doch, Wladimir Sergejewitsch, ich kann den Mord an Maluschkin ohne Ihre Aussage nicht aufklären,
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