Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
Fernsehen zu.
Larissa versuchte, die Finger der Hand zu bewegen, die in der Handschelle steckte, mit der sie an den Heizkörper gefes-selt war. Die Finger waren taub geworden und gehorchten ihr nicht. Ihr zweiter Arm war mit einem Strick fest an ihren Körper gebunden. Sie lag fast völlig nackt auf dem Fußboden, nur mit einem kleinen, durchsichtigen Slip bekleidet, den ihr Peiniger an ihrem Körper gelassen hatte.
»Hör doch«, begann sie erneut, »was hast du davon, daß ich hier liege? So kommt Sergej doch auch nicht zurück. Überlege doch selbst.«
»Ich brauche nicht zu überlegen. Du mußt überlegen. Denk nach, wer wissen könnte, wo Artjuchin ist, und dann ruf an!«
» Und was soll ich sagen?«
»Du sagst, wie es ist. Wenn er nicht bald hier auftaucht, bringe ich dich um.«
»O mein Gott, warum denn? Was habe ich dir getan?« Larissa begann zu weinen. Sie fror, ihr ganzer Körper schmerzte. Warum mußte das ausgerechnet ihr passieren?
»Wenn du heulst, kriegst du Schläge«, sagte ihr Peiniger ungerührt, während er nach wie vor auf den Bildschirm starrte.
Sie begann zu schluchzen, laut und verzweifelt. Der Mann erhob sich schweigend, trat an sie heran, stopfte ihr mit einer geschickten Bewegung einen Stoffetzen in den Mund und klebte schnell einen breiten Streifen Leukoplast darüber. Dann ging er einen Schritt zurück und betrachtete zufrieden sein Werk. Plötzlich trat er Larissa mit aller Wucht in die Seite. Er überlegte einen Moment, dann trat er sie noch zweimal, diesmal in die Brust.
»Ist es jetzt genug?« fragte er besorgt. »Läßt du mich jetzt endlich das Spiel zu Ende ansehen?«
Sie lag bewegungslos und mit zurückgeworfenem Kopf auf dem Fußboden. Die Tränen rannen über ihre Schläfen und liefen in die Ohren.
Sie mußte darüber nachdenken, wie sie Sergej finden konnte. Sonst würde dieser Wahnsinnige sie umbringen. Fieberhaft ging sie in Gedanken alle seine Bekannten durch und versuchte, sich an ihre Namen und Telefonnummern zu erinnern. Sie mußte sich etwas einfallen lassen. Sie mußte ihn finden.
ZWÖLFTES KAPITEL
»Wir können Ihre Mutter natürlich ins Krankenhaus einweisen, wenn Sie darauf bestehen, aber sie wird auf dem Korridor liegen müssen, und es wird niemanden geben, der sich um sie kümmern kann.«
Die Ärztin trocknete sich die Hände ab, die sie nach der Untersuchung Veronika Matwejewnas sorgfältig gewaschen hatte. Eine Siebzigjährige, die einen Schlaganfall erlitten hatte, ins Krankenhaus aufnehmen? Dafür würde sie der Chefarzt fristlos entlassen. Das Krankenhaus war ohnehin hoffnungslos überfüllt, dazu die marode Apparatur, viel zu wenig Ärzte, in den Zimmern doppelt so viele Kranke wie nach der Norm zulässig. Niemand wollte hier eine gelähmte Patientin haben, die keine Chance hatte, wieder gesund zu werden, und noch sehr lange leben konnte.
»Und was soll ich jetzt machen?« fragte Turbin verwirrt, während er der Ärztin in den Mantel half.
»Nehmen Sie sich eine Krankenpflegerin, wenn Sie sich nicht selbst um Ihre Mutter kümmern können«, sagte die Ärztin gleichgültig.
»Aber ich habe doch keine Ahnung, wie man einen gelähmten Menschen pflegt!« sagte Turbin verzweifelt.
Die Ärztin bekam Mitleid mit ihm. Ein so hübscher junger Mann, und von einem Augenblick auf den andern war er nun an seine bettlägerige Mutter gefesselt. Aber sie konnte ihm nicht helfen.
»Wissen Sie, ich habe viele solche Patienten in meinem Bezirk. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen die Adressen und die Telefonnummern, dann können Sie sich mit den Verwandten in Verbindung setzen und nach allem fragen, was sie wissen wollen. Jeden Tag wird eine Krankenschwester kommen und Ihrer Mutter eine Spritze geben. Und auch ich komme in zwei Tagen wieder vorbei. Denken Sie daran, zweimal täglich den Blutdruck zu messen. Lassen Sie den Kopf nicht hängen. Es sieht nur am Anfang so aussichtslos aus, aber nach und nach wird sich die Situation normalisieren. Sie werden sich daran gewöhnen und lernen, mit Ihrer Mutter umzugehen. Nach und nach wird es leichter werden für Sie, das verspreche ich Ihnen. Ich habe im Lauf von zehn Jahren viele solche Fälle erlebt.«
Er schloß die Tür hinter der Ärztin und kehrte ins Zimmer zurück. Die Mutter lag bewegungslos auf dem Bett, sie sah aus wie aus Wachs. Er setzte sich in den Sessel vor dem Fenster und schien zu versteinern.
Als er nach der Begegnung mit Marat in Serebrjannyj Bor endlich zu Hause angekommen war, kochte die Mutter
Weitere Kostenlose Bücher