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Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe

Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe

Titel: Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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gerade Mittagessen.
    »Mama, darf ich dich einen Moment stören? Ich muß dir kurz ein paar Fragen stellen«, hatte er gesagt.
    Er war tatsächlich davon überzeugt gewesen, daß die Sache in ein paar Minuten erledigt sein würde. Er würde fragen, und die Mutter würde antworten, ihm vielleicht ein paar Papiere zeigen, nach denen er noch nie gefragt hatte, weil es ihm nie in den Sinn gekommen war. In seiner Geburtsurkunde war unter »Vater« ein Viktor Fjodorowitsch Nikolajew eingetragen, die Mutter hatte ihm einst erklärt, daß Turbin ein bekannter Name war und daß sie Valerij deshalb unter diesem Namen hatte eintragen lassen. Er sollte denselben Namen tragen wie sein adeliger Urgroßvater und sein Großvater, der bekannte Architekt. Diese Erklärung hatte Valerij nie irritiert oder gewundert. Turbin war tatsächlich besser als Nikolajew, denn Nikolajews gab es wie Sand am Meer, in jeder Schulklasse mindestens zwei.
    »Was willst du mich denn fragen, Söhnchen?« sagte Veronika Matwejewna lächelnd, wischte sich die mehligen Hände an der Schürze ab und ließ sich auf dem Küchenhocker nieder.
    »Sag mir noch einmal, wer mein Vater war.«
    Veronika Matwejewna wurde grau im Gesicht, und das blieb ihrem Sohn nicht verborgen.
    »Wieso fragst du mich jetzt plötzlich danach? Ist etwas passiert?«
    »Ja, es ist etwas passiert.«
    Er schwieg und rang um Fassung.
    »Man hat mir heute gesagt, mein Vater sei wegen Leichenschändung im Gefängnis gewesen. Sag mir, daß das nicht wahr ist, und ich werde dich nie wieder danach fragen.«
    »Wer hat dir das gesagt? Wer konnte es wagen?«
    »Das spielt keine Rolle, Mama. Wichtig ist nur, ob es wahr ist oder nicht.«
    »Hat er dich gefunden? Hat er mit dir gesprochen?«
    »Wer? Wer soll mich gefunden und mit mir gesprochen haben? Antworte mir endlich.«
    »Dein Vater. Dieser Abschaum. Hat er es dir gesagt?«
    »Also ist es wahr«, sagte Valerij mit tonloser Stimme. Er lehnte sich gegen die Wand und schloß die Augen.
    Daraufhin hatte die Mutter ihm alles erzählt. Wie sie die verweste Leiche des Nachbarn entdeckt hatte, wie Pawel, der junge Leichenbestatter, sie zum Trinken verleitet hatte, damit sie es schaffte, ihm zu helfen, weil sich kein anderer dafür fand. Wie Pawel am Abend zurückgekommen war und wie sie erneut Wodka getrunken hatten, wie er über Nacht geblieben war und wie sie ihn am nächsten Morgen hinausgeworfen hatte. Als sie entdeckt hatte, daß er ihr einen alten, sehr teuren Ring gestohlen hatte, hatte sie nichts unternommen, war nicht zur Miliz gegangen, obwohl sie sehr gut wußte, wo Pawel zu finden war. Sie hatte sich geschämt. Sie war angewidert gewesen und hatte sich selbst gehaßt.
    Und nach zwei Monaten hatte sie die ersten Anzeichen von Schwangerschaft an sich bemerkt. Zuerst hatte sie noch versucht, sich das Ausbleiben der Menstruation durch einen vorzeitigen Beginn der Wechseljahre zu erklären. Da sie nie ein Kind geboren hatte und nie mit einem Mann zusammen gewesen war, war ihr Zyklus ohnehin immer sehr unregelmäßig gewesen. Nur die ständigen Kopfschmerzen und eine ihr bis dahin unbekannte Mattigkeit hatten sie schließlich gezwungen, einen Arzt aufzusuchen. Dieser hatte bestätigt, daß sie schwanger war und ihr eine Frist von sechs bis acht Wochen genannt. Sie wußte sehr gut, welche Frist gemeint war.
    Genau zu diesem Zeitpunkt hatte man sie damals ins Rektorat bestellt und ihr feierlich mitgeteilt, daß man sie als Parteimitglied, das regen Anteil am gesellschaftlichen Leben des Instituts nahm, für eine Reise in die Tschechoslowakei vorgeschlagen hatte, zu einem zweimonatigen Erfahrungsaustausch. Veronika Matwejewna war aufgewühlt. Sie konnte diese Chance nicht ausschlagen. Und sie mußte die Reise bereits in zwei Wochen antreten. Sofort machte sie sich auf die Suche nach einer alten Bekannten, einer Gynäkologin, der sie blind vertraute und die ihr dabei helfen sollte, die Abtreibung innerhalb von zwei Wochen hinter sich zu bringen. Doch sie hatte kein Glück. Ihre Bekannte war gerade im Urlaub. Sie lief zur Frauenberatungsstelle in ihrem Stadtteil und bat um eine Indikation. Man zwang sie, verschiedene Untersuchungen zu machen, und stellte die Indikation erst danach aus. Sie stürzte sofort zum Krankenhaus und erfuhr dort, daß es für Abtreibungen eine Warteliste gab, der frühste Termin, den sie bekommen konnte, war in zwölf Tagen. Und bis zur Abreise blieben ganze sieben Tage. Sie bat, sie flehte, sie weinte, erklärte, daß sie

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