Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
ertönte ein bösartiges Kichern. »Vielleicht überlege ich es mir noch. Es ist ja meine Entscheidung, und ich mache damit, was ich will. Ich kann sie genausogut wieder zurücknehmen.«
Nastja mußte sich dringend für eine Gesprächstaktik entscheiden. Testete er sie? Machte er sich über sie lustig? Oder sagte er ganz offen, was er dachte? Sollte sie sich auch weiterhin so verhalten wie bisher, oder sollte sie nach dem angebotenen Strohhalm greifen und versuchen, ihn von seinem schrecklichen Vorhaben abzubringen? Wie war es richtig? Wie? Wenn sie nur etwas mehr über ihn gewußt hätte! Der einzige Weg war, weiter mit ihm zu sprechen und gleichzeitig zu versuchen, sich an alles zu erinnern, was er ihr je gesagt hatte. Vielleicht würde sie auf diese Weise wenigstens eine vage Vorstellung von seiner Persönlichkeit bekommen.
»Das mußt du wissen«, sagte sie zurückhaltend. »Obwohl mir persönlich zuverlässige, entschlossene Männer besser gefallen. Gesagt, getan. Aber das ist Geschmackssache.«
»Sag mal, bist du eigentlich allein?« fragte Anton plötzlich.
»Ja, ich bin allein.«
»Warum sollte ich dir glauben?«
»Du mußt mir nicht glauben. Du mußt überhaupt nichts. Es liegt bei dir, ob du mir glaubst oder nicht. Ich jedenfalls glaube dir.«
»Was glaubst du denn? Daß ich das Mädchen umbringen und mich selbst erschießen werde? Ist es das, was du glaubst?«
Erschießen, hatte er gesagt. Nicht aufhängen, nicht vergiften, sondern ganz explizit erschießen.
Er hat eine Waffe, kritzelte sie auf das Blatt.
»Ja, auch das glaube ich dir.«
»Und was glaubst du mir noch?«
»Alles. Du hast mir immer die Wahrheit gesagt. Nur ein einziges Mal hast du gelogen. Aber nur ein einziges Mal in zwei Wochen. Das ist nicht viel. Das ist verzeihlich.«
»Und wann habe ich gelogen? Sag schon, sag schon!«
Ihr ging plötzlich ein Licht auf. In den Anmeldungen zur Eheschließung, denen er die Adressen der heiratswilligen Frauen entnommen hatte, waren auch die Berufe und die Arbeitgeber der Frauen angegeben. Also hatte er von Anfang an gewußt, daß die Antragstellerin namens Kamenskaja bei der Kripo arbeitete. Er hatte es gewußt und sie trotzdem ausgesucht. Warum? War es jugendlicher Leichtsinn? Die Lust am Risiko? Oder war es ihm ganz ausdrücklich darum gegangen, seine Kräfte mit denen der Kripo zu messen? Sein ständiges Gefasel vom Ruhm, davon, daß er Artjuchin gefunden hatte und daß sie, Nastja, ihm nun die Lorbeeren stahl. . .
»Als du gesagt hast, daß du schon als Kind in die Fußstapfen deiner Mutter getreten und nie von diesem Weg abgewichen bist. Das war doch gelogen, oder?«
»Woher weißt du das?«
Seine Stimme hatte sich verändert, der dreiste, flegelhafte Tonfall war argwöhnisch geworden.
»Es war nicht schwierig, das zu erfahren. Du wolltest zur Miliz, und es war ein schwerer Schlag für dich, als man dich aus gesundheitlichen Gründen ablehnte. Warum wolltest du mir das verheimlichen, Anton? Es gibt doch keinen Grund, sich dafür zu schämen. Warum hast du gelogen?«
Anton schwieg, in der Leitung war nur sein keuchender Atem zu hören. Nastja begriff, daß er wieder unter Atemnot litt. Ihr blieben jetzt nur noch wenige Sekunden, um zu entscheiden, ob sie ihn auch weiterhin in dem Glauben lassen sollte, daß es ihm gelungen war, sie auszutricksen. Sollte sie die Alleko erwähnen oder nicht? Sie hatte ihm eine völlig sinnlose Frage gestellt, deren Beantwortung für sie keinerlei Bedeutung hatte. Anton zerbrach sich jetzt am anderen Ende der Leitung den Kopf darüber, was er sagen sollte. Auch er sah keinen Sinn in dieser Frage und suchte nach dem Fallstrick. Auf diese Weise hatte sie kostbare Sekunden gewonnen.
Sie ist selbst schuld. Hätte sie nicht gelogen und betrogen . . .
Sie ist selbst schuld. . ...
Hören Sie doch auf mit Ihrem Mitleid. Sie sind selbst schuld. . .
Die Suche nach der Schuld war sein ständiges Motiv. Er wollte immer die Verantwortung und die Schuld des einzelnen feststellen. Für ihn gab es keine Grautöne, keine Entschuldigungen, keine mildernden Umstände. Nur schwarz und weiß. Nur Gut oder Böse.
Er wollte auf der Seite des Guten stehen. Deshalb hatte er sich bei der Miliz beworben. Er ahnte nicht, daß die Arbeit der Miliz nur aus Lügen, Kompromissen und Schmutz bestand. Er hatte geglaubt, er würde gegen das Böse kämpfen und dabei jungfräulich rein bleiben. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn über seinen fatalen Irrtum aufzuklären.
Er
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