Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
Schwein«, sagte er. »Hören Sie auf, sie unter Druck zu setzen. Sie nutzen die Tatsache aus, daß sie leicht zu beeinflussen ist und Ihnen widerspruchslos zuhört. Verschwinden Sie von hier!«
»Elja, was sagst du? Soll ich gehen?«
Sie nickte erneut. Über ihre Wangen rannen Tränen, aber sie bemerkte es nicht einmal, sie blickte irgendwohin ins Ungewisse, vorbei an den zwei Männern, zwischen denen sie saß.
»Gut, Kindchen, ich werde gehen, obwohl nur Gott weiß, wie ungern ich das tue. Dein Freund hat mich als impotent und als Schwein bezeichnet, was bedeutet, daß der Tag nicht fern ist, an dem er dich mit ähnlich schönen Wörtern bedenken wird. Wenn ein Mensch andere beleidigt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis er auch die von ihm geliebte Frau beleidigen wird. Und noch eines. Kennst du das Sprichwort: Gott hat’s gegeben, Gott hat’s genommen? Es besagt, daß dem Menschen alles, was er von der Natur mitbekommen hat, in jedem Moment wieder genommen werden kann. Dichtes Haar kann ausfallen, ein schönes Gesicht kann nach einem Unfall zu einer Fratze werden. Auch das Leben selbst kann einem jeden Moment wieder genommen werden. Aber das, was der Mensch aus eigener Kraft schafft, bleibt manchmal Jahrhunderte bestehen. Und das, was er gelernt hat, kann ihm niemals mehr abhandenkommen, weil ihm das nicht Gott gegeben hat, sondern weil es sein eigenes Verdienst ist. Dein Freund kann morgen an einer schweren Grippe erkranken, und seine sexuelle Potenz läßt plötzlich schwer nach. Was bleibt dann? Armut und Langeweile. Aber wenn das mit mir geschehen sollte, bliebe trotzdem alles beim alten. Erinnere dich, Elja, wie oft mir die Kraft für die Liebe gefehlt hat, aber du warst trotzdem immer zufrieden.«
Marat erhob sich ohne Eile, goß sich aus der Kanne kalten Kaffee in seine Tasse und trank ihn stehend aus, mit einem heimlichen Seitenblick auf Elja und Turbin. Elja sah bedrückt aus, und Turbin wirkte sehr erbost. Jetzt war es wohl tatsächlich soweit, daß man die beiden allein lassen konnte.
ACHTES KAPITEL
Die Wohnung, in der Nikolaj Selujanow nach der Scheidung allein zurückgeblieben war, war riesig und vernachlässigt. Seine Frau hatte kein Interesse an einer Teilung der Wohnfläche gehabt, da sie von an Anfang an gewußt hatte, daß ihr neuer Geliebter und zukünftiger Ehemann ein ziemlich hohes Tier in Woronesh war und daß es deshalb keine Probleme mit der Wohnungsfrage geben würde. Nikolaj bewohnte nur die Küche und ein einziges, großes Zimmer der Wohnung, hier herrschte immer peinliche Ordnung und Sauberkeit, aber um die restlichen zwei Zimmer und den großen Flur kümmerte sich Selujanow nicht mehr. Des öfteren bekam er Besuch von Jura Korotkow, der mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner bettlägerigen Schwiegermutter eine winzige Zweizimmerwohnung bewohnte und hierherkam, um in der Stille und Weite der Selujanowschen Hallen Ruhe und Kraft zu schöpfen. Für den größten Glücksfall hielt Korotkow die Abende, an denen sich an irgendeiner der üblichen Kleinigkeiten ein Streit entzündete und das lautstarke Gezeter seiner Frau ihn Hals über Kopf aus dem Haus trieb. An solchen Abenden eilte Jura zur Metro, und bereits nach einer Dreiviertelstunde betrat er den stillen Hort seines Freundes und Kollegen, wo es unaufgeräumt war, wo die großen Staubflocken auf dem Fußboden bei jedem Luftzug launisch hin und her rollten, und wo sich da und dort bereits die Tapeten von den Wänden lösten. Aber dafür war es still und friedlich.
Heute hatte Jura Glück. Als er sich morgens auf den Weg zur Arbeit machte, fragte ihn seine Frau mit dem üblichen Mißtrauen, was er denn vorhabe, heute, am Samstag. Erstaunlich daran war, daß Jura im Lauf der letzten vier Jahre keinen einzigen Samstag zu Hause verbracht hatte, aber jedes Mal, wenn er zum Dienst aufbrach, stellte seine Frau ihm dieselben mißtrauischen Fragen und zog dieselben mutwilligen Schlüsse aus seinen kurzen, höflichen Antworten. Heute war seine Frau noch vom Vortag in miserabler Stimmung, deshalb war es nicht schwer, sie zu jenen Worten zu bewegen, die Korotkow den Weg zu dem heiß ersehnten Sofa in Selujanows Wohnung ebneten. Je gröber und gemeiner die Anschuldigungen seiner Frau, desto tiefer durfte er gekränkt sein.
»Ich glaube, dir wäre es am liebsten, wenn ich sterben würde und dir nicht mehr im Weg wäre«, sagte er, während er zur Tür ging und den Riemen seiner Tasche um die Schulter hängte. »Ich werde im Büro
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