Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
umgezogen ist?«
»Es steht in meinem Notizblock. Der steckt in der Brusttasche meiner Jacke, hol ihn doch bitte mal, sei so nett.«
Nikolaj kam mit der Jacke in die Küche und holte vor Korotkows Augen das Blatt Papier mit den Daten hervor, das er ihm vor zwei Tagen selbst auf den Schreibtisch gelegt hatte.
»Seltsam«, sagte er schulterzuckend, »sie hat sechzig Jahre in ein und demselben Haus gewohnt, und plötzlich zieht sie in die Nebenstraße um.«
»Bist du sicher?«
Korotkow legte das Messer weg, mit dem er die Zwiebeln in der Pfanne umgerührt hatte, und sah den Freund fragend an.
»Weißt du genau, daß es die Nebenstraße ist?«
»Ja, ganz genau. Drei Minuten zu Fuß. Wenn du es nicht glaubst, dann laß uns hinfahren, ich zeige es dir.«
Korotkow glaubte es. Kolja Selujanow kannte Moskau wie seine eigene Westentasche, man konnte sich auf ihn verlassen.
»Also hatte sie nicht vor, sich vor jemandem zu verstecken«, murmelte Jura nachdenklich, während er die goldgelben Zwiebelstücke ableckte, die am Messer festgeklebt waren. »Es muß doch um Geld gegangen sein. Aber nicht um Bestechungsgeld für die Armee. Doch wofür dann? Hat Valerij vielleicht eine Straftat begangen, und sie mußte sich von den Opfern loskaufen oder den Untersuchungsführer bestechen?«
Sie schwiegen einige Minuten, da Korotkow jetzt mit der Herstellung der Marinade beschäftigt war und der diffizile Vorgang seine ganze Aufmerksamkeit erforderte. Da es in Selujanows Haushalt keinen Meßbecher gab, mußte er nach Augenmaß vorgehen und durfte sich jetzt nicht ablenken lassen.
Schließlich legte Jura die dünn geschnittenen und geklopften Fleischstücke in die Marinade und sah auf die Uhr.
»Schnitzel auf tadschikische Art müssen genau eine Dreiviertelstunde in der Marinade ziehen«, erklärte er fachmännisch. »Das wird unser zweiter Gang sein. Der erste ist in zehn Minuten fertig.«
»Und woraus besteht der erste?« fragte Kolja ungeduldig.
»Ragout aus zehn Gemüsesorten. Keine Angst, es wird dir schmecken. Also, kehren wir zurück zu unserer umzugsfreudigen Veronika Matwejewna. Vernachlässigen wir zunächst die Frage nach dem Geld und nach ihrer Vergangenheit und schauen uns ihr heutiges Leben an. Heute, mein lieber Freund, hat sie erstens ganz entschieden etwas dagegen, daß ihr Sohn Elena Bartosch heiratet, und zwar ohne jede vernünftige Begründung, und zweitens macht sie aus irgendeinem Grund eine halbe Weltreise und fährt nach Ljuberez, wo sie sich aus ebenso unbekanntem Grund mit dem zweifach vorbestraften Alkoholiker Pawel Smitijenko trifft.«
»Wie bitte? Mit wem?« Selujanow schnippte vor Schreck die Asche seiner Zigarette nicht in den Aschenbecher, sondern in das Glas mit Mineralwasser, das vor ihm stand. »Mit Pawel Smitijenko?«
»Wieso? Kennst du ihn etwa?«
»Hast du den vergessen, Jura? Du kennst ihn auch. Es kann doch nicht sein, daß du dich nicht erinnerst. 1980, man hat uns alle als Zeugen aufgerufen. Hast du es jetzt?«
»Heiliges Kanonenrohr!«
Korotkow ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf einen Stuhl fallen und wischte sich die Hände an der Schürze ab.
»Wie konnte ich nur seinen Namen vergessen! Ist ja allerhand. Aber jetzt erinnere ich mich genau. Pawel Smitijenko. Du lieber Gott!« Er schnitt eine Grimasse des Abscheus. »Mir wird sofort übel, wenn ich an ihn denke. Was kann eine alte Rentnerin, eine ehemalige Ärztin, die Tochter eines bedeutenden Architekten, mit so einem Scheusal zu tun haben?«
»Ein Auftrag?« überlegte Nikolaj laut. »Vielleicht hat sie ihn beauftragt, die Hochzeit ihres Sohnes hochgehen zu lassen.«
»Möglich. Aber wozu? Warum will sie um jeden Preis verhindern, daß ihr Sohn Elena heiratet? Morgen früh fahre ich zu Smitijenko und nehme eine Flasche Fusel mit.«
»Ich komme mit«, sagte Selujanow entschieden.
»Wozu?«, fragte Jura erstaunt. »Mit dem komme ich auch allein zurecht, das ist kein großes Kunststück.«
»Pure Neugier.«
»Gut«, stimmte Korotkow zu, »fahren wir zusammen.«
Sie aßen zu Abend und tranken zu zweit eine Flasche Wodka, wobei auf Korotkow weniger als ein Drittel der Flasche entfiel. Danach saßen sie noch lange in der Küche und unterhielten sich, gerade so, als hätten sie unter der Woche im Büro nicht genug Zeit dafür. Nikolaj hatte Sehnsucht nach seinen Kindern und erinnerte sich haßerfüllt an seine treulose Frau. Jura beklagte sich darüber, daß er seine Ljalja nicht verlassen konnte, weil es unmöglich war,
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