Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
machen müssen, aber ich nehme an, Sie bestehen nicht um jeden Preis auf Ihren Prinzipien.«
»Kommt darauf an, um welche Prinzipien es sich handelt.«
»Wenn es uns gelingt, den Henker zu finden, werden wir ihn so lange gewähren lassen, bis er uns zu allen seinen Opfern geführt hat. Er wird frei herumlaufen, und wir werden das ganz bewusst zulassen. Mehr noch, wir werden sehr vorsichtig sein müssen, um ihn nicht misstrauisch zu machen. Wenn er uns, bildlich gesprochen, den Weg zum Haus seines nächsten Opfers gezeigt haben wird, und sich dann plötzlich herausstellt, dass diese Person verhaftet wurde, wird der Henker unruhig werden und den Weg zum nächsten Opfer womöglich nicht mehr gehen. Aber im Grunde würde ich die Sache an Ihrer Stelle erst einmal anders angehen.«
»Und wie?«
»Ich würde bei unseren eigenen Mitarbeitern beginnen. Das heißt bei den Behörden des Innenministeriums in den bewussten Regionen. Woher weiß der Henker, wer diese Serienmorde begangen hat? Die Antwort liegt auf der Hand. Er ist einer unserer Mitarbeiter. Über die Morde liegen viele operative Informationen vor, diese Informationen wurden wahrscheinlich nie irgendwo gebündelt, sie erschienen dem Untersuchungsführer nicht glaubhaft genug oder konnten nicht zur Beweisführung benutzt werden, da sie jenseits offizieller Ermittlungen oder mit illegalen Mitteln gesammelt wurden. Sie wissen doch selbst sehr gut, Alexander Semjonowitsch, wie das oft läuft. Da existiert eine ganze Akte über jemanden, jeder im Land weiß, dass er ein Verbrecher ist, aber wir können ihn nicht verhaften, weil die Beweise nicht ausreichen. Und dieser Mitarbeiter der Miliz hat gewartet und gewartet, er hat ausgeharrt und gehofft, und dann hat er die Ausübung des Rechts selbst in die Hand genommen. Vielleicht war unter den Opfern ein Mensch, der ihm nahe gestanden hat. Vielleicht wurde er gerade zu der Zeit, als in diesen Fällen ermittelt wurde, wegen eines Vergehens aus dem Dienst entlassen. Könnte es vielleicht so gewesen sein?«
»Durchaus«, stimmte Konowalow zu. »Ich verstehe Gordejew.«
»In welcher Hinsicht?«, fragte Nastja verwirrt.
»Außer Ihnen hätte es niemand geschafft, den Mann aus Samara herauszuholen und sicher nach Moskau zu bringen. Ich meine, niemand wäre auf die Idee gekommen, wie man das machen muss. Hätten Sie nicht vielleicht Lust, Ihren Arbeitsplatz zu wechseln?«
Nastja fühlte sich plötzlich nur noch angeödet. Sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass das Gespräch mit dem General so banal enden könnte. Er hatte ihr ihre Ideen entlockt, gleichzeitig getestet, wofür sie zu gebrauchen war, und jetzt schlug er ihr vor, die Mannschaft zu wechseln. Als würden fähige Mitarbeiter nur im Hauptkomitee gebraucht, während die Petrowka mit Dummköpfen auskommen konnte.
General Konowalow sah sie fragend und etwas belustigt an.
»Möchten Sie nicht für mich arbeiten?«, wiederholte er seine Frage, jetzt schon sehr konkret.
»Es tut mir Leid«, sagte Nastja mit flacher, ausdrucksloser Stimme.
»Es braucht Ihnen nicht Leid zu tun«, erwiderte der General unerwartet heiter. »Ich kenne Oberst Gordejew seit langer Zeit. Und ich weiß, dass niemand aus eigener Initiative seine Abteilung verlässt. Wenn einmal jemand geht, dann höchstens deshalb, weil ihm auf einem anderen Posten eine neue Wohnung in Aussicht gestellt wird oder weil es sich um eine ungewöhnliche Beförderung handelt. Aber wer bleiben kann, der bleibt. Ihr Chef ist ein einzigartiger Mensch, Major Kamenskaja, und ich freue mich, dass Sie sich dessen bewusst sind. Wie steht es, wollen Sie sich wenigstens unserem Ermittlerteam anschließen?«
»Kommt darauf an, was ich in diesem Team machen soll.«
»Was möchten Sie denn machen?«
»Ihre Güte beängstigt mich, Alexander Semjonowitsch«, scherzte Nastja. »Wenn ein sehr hoher Chef eine sehr kleine Untergebene fragt, was sie machen möchte, dann steht entweder Regen bevor oder ein kalter Sommer.«
»Hören Sie auf«, sagte der General stirnrunzelnd. »Sie sind kein kleines Mädchen mehr, dessen Fähigkeiten man auf Schritt und Tritt hervorheben muss, alle wissen längst, dass Sie eine kluge und qualifizierte Mitarbeiterin sind. Das ganze Ministerium kennt Sie, Ihren Namen und Ihre Erfolge. Sie sind längst über die Stellung hinausgewachsen, die Sie bei Gordejew einnehmen, aber wenn es Ihnen gefällt, in dieser Stellung zu bleiben, dann bedeutet das nicht, dass alle andern Sie behandeln müssen wie
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