Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
schlagen mir völlig unmögliche Dinge vor.«
»Warum unmöglich?«
»Weil ich es vorziehe, in meinem eigenen Bett zu schlafen, zu Hause das Telefon abzunehmen und meinem Mann keine Erklärungen abgeben zu müssen wegen zweifelhafter Übernachtungen bei fremden Männern.«
»Ist Ihr Mann etwa eifersüchtig?«
»Mein Mann ist völlig normal, aber selbst ein normaler Mensch hat Grenzen, und die möchte ich nicht verletzen. Wenn ich ihm den wahren Grund meiner Übernachtung bei Ihnen sagen würde, würde er verrückt werden vor Angst um mich.«
»Dann gibt es nur noch eine Möglichkeit«, sagte Pawel. »Ich bringe Sie nach Hause und bleibe über Nacht bei Ihnen. Ich vermute, das bringt Sie nicht in Verlegenheit, denn wir haben ja bereits einmal gemeinsam in einem Zimmer übernachtet.«
Sie verstummte erneut und steckte sich die nächste Zigarette an.
»Wissen Sie, worin der Unterschied zwischen Ihnen und mir besteht?«, fragte sie plötzlich.
»Worin?«
»Sie sind ein Pragmatiker, während ich analytisch und strategisch denke. Warum haben Sie auf dem Lenin-Prospekt die Flucht ergriffen? Das war dumm und unvorsichtig. Jetzt sitzen wir beide hier und wissen nicht, wie wir aus der Sache wieder herauskommen sollen. Ich hätte mich an Ihrer Stelle ganz anders verhalten.«
»Und wie?«
»Ich wäre nicht geflohen. Eine Flucht zieht eine Menge Schwierigkeiten nach sich. Wir haben die Verfolger abgeschüttelt. Und nun? Wie geht es weiter? Sie zwingen mich dazu, mich zu verstecken und erneut zu flüchten. Sie denken nicht konstruktiv, Sie haben keine Strategie.«
»Und Sie haben eine Strategie?«, fragte Pawel mit leichtem Spott in der Stimme.
»Natürlich. Wenn Sie mir einfach gesagt hätten, dass Sie unsere Bekannten erblickt haben, dann hätte ich mir etwas einfallen lassen. Ich hätte dafür gesorgt, dass meine Kollegen auftauchen, man hätte die beiden festgenommen und Tacheles mit ihnen geredet. Ich hätte sie zu Handlungen provoziert, die das Erscheinen der Miliz unvermeidlich gemacht hätten. Aber so? Wir sind hier, und die beiden wer weiß wo. Die ganze Aktion hat mir eine Menge Angst eingebracht, aber keine einzige Antwort auf meine Fragen. Nur Verluste und keinen einzigen Pluspunkt.«
»Entschuldigen Sie«, sagte er trocken. »Ich habe mehr an Ihre Sicherheit als an Strategie gedacht. Und ich bestehe nach wie vor darauf, dass Sie nicht allein bleiben, zumindest heute nicht.«
Sie erwiderte nichts, und er nahm ihr Schweigen als Zeichen der Zustimmung.
»Wo wohnen Sie?«
»In der Stschelkowskij-Chaussee.«
Auf der Ringstraße gab es keine Staus, sie erreichten ziemlich schnell Nastjas Wohnung. Sauljak hatte während der ganzen Fahrt kein einziges Wort mehr gesagt.
* * *
»Kommen Sie herein«, sagte Nastja müde, nachdem sie die Tür zu ihrer Wohnung aufgeschlossen hatte. »Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich mich richtig verhalte. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn Sie nach Hause fahren würden. Sie haben mich nach Hause gebracht, ich danke Ihnen dafür. Jetzt kann mir nichts mehr passieren.«
Pawel antwortete nicht und betrachtete kritisch die Wohnungstür. »Sie haben ja nicht einmal ein Sicherheitsschloss«, bemerkte er. »Und das normale Schloss ist auch recht fadenscheinig. Ich muss schon sagen, Sie sind eine leichtsinnige Dame.«
»Bei mir gibt es nichts zu holen.«
»Doch, es gibt Sie selbst. Fürchten Sie nicht um Ihre persönliche Sicherheit?«
»Schon, aber ich will kein Geld ausgeben für Türschlösser. Es wäre sinnlos. Wenn jemand mir etwas tun will, dann kann er das auch jederzeit auf der Straße tun. Legen Sie ab, da Sie nun schon einmal hier sind.«
Jede Minute, die sie in Pawels Anwesenheit verbrachte, bereitete ihr fast körperliche Schmerzen. Wie dumm, dass Ljoscha nicht in Moskau war! Doch nein, so war es besser für ihn. Er kannte Nastja durch und durch und hätte sofort gemerkt, dass sie etwas beunruhigte.
Nachdem Pawel abgelegt hatte, ging er sofort zum Fenster und begann, die Straße zu observieren. Nastja kümmerte sich um das Abendessen. Was ließ sich auf die Schnelle zubereiten? Sie holte zwei Hühnerkeulen aus dem Gefrierfach und legte sie zum Auftauen in die Mikrowelle. Aus zwei Gurken und drei Tomaten ließ sich ein durchaus annehmbarer Salat hersteilen, die Hühnerkeulen würden in Verbindung mit grob gewürfelten Kartoffeln und saurer Sahne vielleicht ebenfalls etwas Essbares ergeben. Der Brotkasten war schon seit drei Tagen leer, sie mussten also ohne
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