Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
mich misstrauisch.«
Mit diesen Worten hatte Nastja genau den halben Schritt auf ihn zu gemacht, den sie sich ausgerechnet hatte. Den nächsten halben Schritt musste sie in Gedanken tun. Es konnte einfach nicht sein, dass ein Profi wie Pawel Sauljak sich so verhielt, wie er es heute getan hatte. Er hätte nicht einfach fliehen dürfen, ohne den geringsten Versuch zu machen, seine Verfolger zu identifizieren. Er hätte sich etwas ausdenken, etwas tun müssen, das die Verfolger gezwungen hätte, sich zu offenbaren. Aber er hatte es nicht getan. Und zwar, weil er ohnehin wusste, wer die beiden waren. Es war ihm nur darum gegangen, den Kontakt mit ihnen zu vermeiden. Und da war noch etwas, das Nastja noch weniger gefiel. Pawel war kein unerfahrener, impulsiver Dummkopf, der beim Anblick verdächtiger Personen einfach nur davonlief. Außerdem hatte er ganze drei Tage mit Nastja verbracht und kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie in einer prekären Situation niemals einfach fliehen, sondern immer auf die Gefahr zugehen, ihren Kopf in die Höhle des Löwen stecken und sich voller Neugier umsehen würde. In den gemeinsamen Tagen mit Pawel hatte sie sich immer genau so verhalten, sie hatte die Verfolger ständig provoziert und abgewartet, wie sie reagieren würden. Die Tatsache, dass Pawel sie heute buchstäblich ins Auto gestoßen hatte und Hals über Kopf geflohen war, sprach Bände. Natürlich wusste er, wer die beiden waren, und er hatte nicht gewollt, dass auch Nastja es erfuhr. Er hatte nicht gewollt, dass sie genau das tat, was sie in dieser Situation getan hätte, wenn es ihr möglich gewesen wäre. Das hatte Nastja bereits in dem Moment gewusst, als sie noch neben Pawel im Auto gesessen und ihm sein falsches Verhalten vorgeworfen hatte. Sie hatte ihn dabei genau beobachtet und seine Reaktion registriert. Pawel war nicht der Mann, der die Vorwürfe einer Frau wortlos hinnahm, wenn es dabei nicht um das schmutzige Geschirr in der Spüle ging, sondern um sein Handwerk. Die Tatsache, dass er sie schweigend angehört und nicht widersprochen, sein Verhalten nicht nur nicht gerechtfertigt, sondern sich sogar entschuldigt hatte, konnte nur eines bedeuten: Er war bereit, alles hinzunehmen, um zu verhindern, dass Nastja erfuhr, wer diese beiden Männer waren. Er tat nur so, als wolle er sie beschützen. In Wahrheit, davon war Nastja inzwischen überzeugt, beschützte er Kolja und Serjosha vor ihr.
Jetzt wartete sie darauf, wie Pawel auf ihre Worte von eben reagieren würde. Natürlich würde er ihr nicht die Wahrheit sagen, davon war sie überzeugt, aber sie war gespannt, wie er sich herausreden würde. Schließlich tat sie ihm einen Gefallen, indem sie ihm erlaubte, über Nacht in ihrer Wohnung zu bleiben, deshalb konnte er sich keine Unhöflichkeiten oder gar Grobheiten erlauben und einfach sagen, dass sie das nichts anging. Es war klar, dass sie eine ausweichende Antwort bekommen würde, aber die Art der Lüge würde ihr etwas über Pawels Persönlichkeit sagen. Versuche nicht herauszufinden, ob man dir die Wahrheit sagt, hatte sie ihm selbst vor kurzem erklärt, versuche zu verstehen, warum jemand so lügt, wie er lügt, dann wirst du die Wahrheit erkennen.
»Wissen Sie, ich möchte keine Einzelheiten über meine Arbeit für Bulatnikow preisgeben«, sagte Pawel, ohne Nastja anzusehen. »Sie wissen selbst, dass jemand, der einen so hohen Posten bei einer so mächtigen Behörde besetzt, es mit sehr heiklen und kritischen Angelegenheiten zu tun hat, und selbst jetzt, nachdem zwei Jahre seit Bulatnikows Tod vergangen sind, fühle ich mich nicht berechtigt, über das zu sprechen, was ich weiß. Ich denke, Sie verstehen mich richtig.«
Das war die ausweichende Antwort, kommentierte Nastja innerlich. Jetzt wird die Lüge folgen.
»Natürlich«, stimmte sie zu, »Ihre Berufsgeheimnisse gehen mich nichts an. Mich interessieren nur diese zwei Männer, die so darauf erpicht sind, Ihnen zu begegnen. Und wissen Sie, was mich besonders beschäftigt? Dass von unseren Verfolgern nur noch die Hälfte übrig geblieben ist. Der Mann mit dem Wolfspelz will ganz offensichtlich nichts mehr von Ihnen, mein Verehrer lässt sich ebenfalls nicht mehr blicken. Aber diese beiden lassen nicht locker. Und ich glaube nicht, dass Sie keine Erklärung dafür haben. Sie wollen es mir nur nicht sagen, Sie sind nicht ehrlich. Sie haben sich an mich gewandt, als Ihre Freundin verschwunden war und Sie Hilfe brauchten, und Sie haben meine Hilfe in
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