Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
ganz ohne Schaden ist es nicht abgegangen.«
Nastja räumte den leeren Teller weg und schob eine Schale mit Keksen und Rosinenkuchen näher an ihren Gast heran.
»Essen Sie, Mischa, genieren Sie sich nicht. Sie sind ein Schatz. Haben Sie es geschafft, bei der Verkehrspolizei anzurufen?«
»Nein. Wohin hätte ich mit diesem zerschundenen Gesicht gehen sollen? Ich wollte aus der Telefonzelle anrufen, aber ich hatte keine Münze bei mir. Und Ihr Haus war ganz in der Nähe. Ist es schlimm, dass ich einfach so hereingeschneit bin?«
»Nein, das haben Sie richtig gemacht. Geben Sie mir die Telefonnummer und trinken Sie einstweilen Tee, ich rufe selbst an.«
Eine halbe Stunde später verabschiedete sich Dozenko. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, fiel die Maske des freundlich lächelnden Gastgebers von Alexejs Gesicht ab.
»Wie soll ich das verstehen?«, fragte er Nastja. »Was für ein Auto war das, das die ganze Nacht hier gestanden hat?«
»Du hast es doch gehört«, versuchte Nastja sich herauszureden. »Ein silberfarbener Audi.«
»Hör auf damit«, sagte Alexej ärgerlich. »Hängst du schon wieder in irgendeiner dummen Geschichte drin? Was geht hier vor?«
»Gar nichts, beruhige dich um Himmels willen«, sagte sie, mühsam ihren Unmut hinunterschluckend. »Das war schon vor fast zwei Wochen, und in dieser Zeit ist mir nichts passiert. Also ist alles gut gegangen.«
»Und warum suchst du dann nach den Männern?«
»Wie sollte ich nicht nach ihnen suchen?«, wunderte Nastja sich aufrichtig. »Ich muss doch wissen, wer diese Leute sind und warum sie eine ganze Nacht unter meinen Fenstern verbracht haben. «
»Nastja, du lügst schon wieder«, sagte Alexej mit einer müden Handbewegung. »Jeden Abend parken irgendwelche Autos unter deinen Fenstern, aber du hast dich noch nie für sie interessiert. Beobachten dich diese Männer?«
»Jetzt nicht mehr. Jedenfalls bemerke ich davon nichts.«
»Und vorher?«
»Ja, vorher haben sie mich beobachtet. Aber nicht besonders intensiv. Und außerdem bin ich nicht sicher, ob sie wirklich mich beobachtet haben.«
»Wen denn sonst?«
»Den Mann, mit dem ich Anfang Februar auf Dienstreise war.«
Alexej verstummte und begann wieder, die Karten zu mischen. Das Patiencenlegen war für Tschistjakow eine Art Antistress-Therapie, deshalb griff er jedes Mal nach den Karten, wenn er nervös wurde, so wie seine Frau in solchen Situationen immer nach einer Zigarette griff.
»Habe ich es richtig verstanden, dass dieser Mann vor zwei Wochen hier bei dir übernachtet hat?«, fragte er.
Nastja zuckte zusammen. Woher wusste er das? Er konnte es natürlich erraten haben, denn sie hatte ja eben gesagt, dass die Männer vielleicht gar nicht sie beobachtet hatten, sondern Pawel. Und da sie die ganze Nacht vor dem Haus verbracht hatten, war es nahe liegend, dass der, den sie suchten, sich in diesem Haus befunden hatte. Ljoscha hatte einen starken Intellekt, nicht umsonst war er Doktor und Professor.
»Ja«, erwiderte sie ruhig, ohne die Augen von seinen langen, kräftigen Fingern abzuwenden, die die Karten auf dem Tisch sortierten. »Du hast es richtig verstanden, er hat hier übernachtet.«
»Und wenn heute nicht zufällig Mischa vorbeigekommen und die Sprache auf das Auto gebracht hätte, das die ganze Nacht hier stand, dann hättest du mir nichts davon gesagt?«
»Nein, wahrscheinlich nicht. Das sind meine dienstlichen Angelegenheiten, warum sollte ich dich damit belasten.«
»Willst du damit sagen, dass ein fremder Mann, der eine Nacht in deiner Wohnung verbringt, eine dienstliche Angelegenheit ist?«
»Ja, genau das will ich damit sagen.«
»Ist er ein Kollege von dir?«
»Fast.«
»Geht es nicht etwas genauer?«
»Er hat zwei Jahre wegen schweren Rowdytums abgesessen, in diesem Sinne kann er natürlich keinesfalls mein Kollege sein. Aber vorher hat er viele Jahre lang so etwas wie operative Arbeit gemacht.«
»Nastja, ich frage dich nicht, warum er die Nacht bei dir in der Wohnung verbracht hat. Du bist eine erwachsene, vernünftige Frau, und du musst tun, was du für richtig hältst. Du hast einen fremden Mann mit nach Hause gebracht, also hattest du Gründe dafür. Aber ich verstehe nicht, warum ich das zufällig von einem Fremden erfahren muss, von Mischa Dozenko. Die Tatsache, dass du versucht hast, mir das zu verheimlichen, zwingt mich anzunehmen, dass es sich hier um mehr als eine dienstliche Angelegenheit handelt.«
»Ljoscha. . .«
»Warte, lass
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