Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
bist du jetzt bereit für die gute Nachricht? Oder soll ich dir vorher noch irgendeinen weiteren ungenießbaren Happen vorwerfen, damit der Kontrast größer wird?«
»Danke, es reicht«, lachte sie. Inzwischen hatte sie ihren Ärger überwunden.
»Man hat das Foto von Kyrill Basanow, der sich zur Zeit in der Psychiatrie befindet, den Zeugen eines lange zurückliegenden Mordes an einem Erpresser vorgelegt. Ich beglückwünsche dich, Kindchen, hier hast du ins Schwarze getroffen.«
»Man hat ihn wieder erkannt?«, fragte Nastja. »Das kann nicht sein, Sie nehmen mich auf die Schippe. So viel Glück auf einmal kann man nicht haben.«
»Kann man eben doch, hier, du kannst es anfassen. Außerdem bezweifle ich, dass es einfach nur Glück war. Wo hast du denn diese Geschichte mit dem Mord an dem Erpresser ausgegraben?«
»Aus meinem eigenen Archiv. Sie wissen doch, dass ich ein Archiv führe, in dem sich die Daten über alle unaufgeklärten Mordfälle und Gewaltverbrechen der letzten zehn Jahre befinden und das ich ständig erneuere.«
»Und du benutzt das Archiv für deine Arbeit?«
»Natürlich«, sagte Nastja achselzuckend. »Ich werte die uns vorliegenden Daten aus und fasse sie unter verschiedenen Gesichtspunkten zusammen, je nach Art der Verbrechen. Das wissen Sie doch. Nach dem Mord an Lutschenkow und Basanows Verhaftung habe ich mein Archiv nach einem nicht gefassten Mörder mit Basanows äußeren Kennzeichen durchsucht. So bin ich auf den Erpresser gekommen.«
»Also habe ich Recht gehabt, es handelt sich hier nicht um Glück«, sagte der Oberst entschieden. »Es ist das Resultat langjähriger konsequenter Kleinarbeit. Du hast dir dein Glück selbst erarbeitet, Kindchen, und zur Belohnung erfährst du jetzt die aufregendste Neuigkeit dieses Morgens. «
»Eine fünfte Neuigkeit?«, fragte Nastja verwundert. »Sie sagten doch, es seien nur vier.«
»Es handelt sich um die Fortsetzung der vierten. Halt dich fest, damit du nicht in Ohnmacht fällst. Wie du dir denken kannst, hat unser Kyrill Basanow Eltern, die völlig fassungslos sind und nicht begreifen können, was ihr Sohn angerichtet hat. Ein stiller, braver junger Mann, der sich nie in schlechter Gesellschaft befunden und nie über den Durst getrunken hat. Ein wenig reizbar und jähzornig, aber nur selten und für kurze Momente. Basanows Eltern wurden gebeten, sich an die Zeit zu erinnern, in der der Mord an dem Erpresser begangen wurde, das heißt an den April des Jahres 1993. Seitdem sind zwar drei Jahre vergangen, aber sie erinnerten sich trotzdem noch an einiges. Man stellte ihnen die üblichen Fragen, ob Kyrill zu dieser Zeit neue Bekanntschaften gemacht hat, ob er vielleicht plötzlich zu Geld gekommen war und so weiter. Im November 1992 hatte er den Militärdienst abgeleistet, und im Frühjahr 1993 befand er sich längst wieder in Moskau. Und jetzt, Nastjenka, beginnen alle möglichen Ungereimtheiten und Seltsamkeiten. Basanows Mutter erinnert sich, dass Kyrill am zwölften April 1993 ein Glas zerschlagen hat, und zwar so, dass er sich die ganze Innenfläche der rechten Hand zerschnitt. Er ging mit einem Glas Tee aus der Küche in sein Zimmer, stolperte auf dem Flur, fiel hin und landete mit seinem ganzen Gewicht in den Scherben auf dem Fußboden, mit der rechten Hand voraus. Die Mutter erinnert sich genau, dass es der zwölfte April war, weil das früher der Tag der Raumfahrt war, und Kyrill war als Kind sehr fasziniert von allem, was mit der Raumfahrt und dem Kosmos zusammenhing, wie die meisten Jungen in diesem Alter. Nur vergeht das bei den meisten irgendwann, aber Kyrill war in seiner Entwicklung stehen geblieben. Als die Mutter seine verletzte Hand mit Jod betupfte, schrie er fast vor Schmerz, und die Mutter tröstete ihn: Kannst du denn gar keinen Schmerz aushalten, Junge? Das gehört sich nicht für einen Mann. Schau dir deine Raumfahrer an, was für mutige Männer das sind, die fürchten sich vor gar nichts, und du jammerst wegen so einer Kleinigkeit. Halte es zu Ehren dieses Tages aus, es ist doch dein Lieblingsfeiertag. Bei dieser Szene waren Basanows Vater, seine kleine Schwester und eine Nachbarin anwesend, eine Krankenschwester, die man geholt hatte, damit sie sich die zerschnittene Hand auf eventuell zurückgebliebene Glassplitter ansehen sollte. Nun geht dein Freund Jura Korotkow in die Psychiatrie, bittet Basanow, ihm seine Hand zu zeigen, er sieht die Narben und fragt Kyrill, wie das passiert ist. Und was glaubst du, was der
Weitere Kostenlose Bücher