Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
einem blauen Fleck an der Hand herumlaufen werde.
»Was verstehen Sie denn nicht?«, fragte sie mit müder Stimme, während sie mechanisch die schmerzende Stelle an ihrem Handgelenk rieb.
»Warum kaufen Sie Blumen, die Ihnen nicht gefallen?«
»Ich kaufe nie Blumen, die mir gefallen. Blumen, die mir gefallen, bekomme ich von Menschen geschenkt, die mir eine Freude machen wollen.«
»Das ist keine Antwort.«
»Aber die einzige, die Sie bekommen.«
»Mag Ihr Romeo gelbe Nelken?«
»Woher soll ich wissen, was er mag.« Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern.
»Warum haben Sie dann . . .«
»Keine Ahnung«, unterbrach sie Pawel. »Einfach so. Ich frage Sie doch auch nicht, warum Sie das eben gemacht haben auf der Tanzfläche. Sie haben es gemacht, weil Sie es wollten oder für notwendig hielten, das ist die ganze Antwort. Ich maße mir nicht an, von Ihnen Rechenschaft über Ihre Handlungen zu verlangen. Sie wollten es so und haben es getan. Basta.«
»Sie sind eine ausgesprochen demokratische Person, das muss man Ihnen lassen.«
»Nein, Sie irren sich. Ich bin eine Anarchistin, ich bin für die absolute Freiheit. Vor allem für die Freiheit der individuellen Entscheidung. Deshalb belästige ich Sie nicht mit Fragen und denke nicht daran, mich wegen der Blumen zu rechtfertigen. Wenn Sie satt sind, können wir wieder aufs Zimmer hinaufgehen.«
»Und die Blumen?«
»Man wird sie mir aufs Zimmer bringen.«
Nastja bezahlte die Rechnung, und sie brachen auf. »Sie werden im Schlafzimmer schlafen«, sagte Nastja in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, als sie wieder im Appartement waren.
Sauljak sagte nichts und nickte nur stumm mit dem Kopf. Nastja holte rasch ihre Kleider aus dem Schlafzimmer und verschwand im Bad, um sich umzuziehen. Sie seifte wütend ihr Gesicht ein und entfernte die grelle Schminke, dann ging sie unter die Dusche. Anschließend zog sie wieder ihre geliebten Jeans an, ein T-Shirt und darüber einen Pullover. Sofort fühlte sie sich sehr viel besser.
Als sie den Salon betrat, sah sie einen großen Nelkenstrauß, der auf dem kleinen Tischchen lag. Pawel saß im Sessel, und Nastja erstaunte es nicht im Geringsten, dass er wieder die Augen geschlossen hatte, die Arme über der Brust verschränkt, die Beine übereinander geschlagen. Ganz offensichtlich war das seine Lieblingspose.
»Zeit, schlafen zu gehen«, sagte sie. »Sie sind sicher müde.«
»Nein.«
»Aber ich bin müde. Ich möchte mich hinlegen.«
Sauljak erhob sich und ging wortlos ins Schlafzimmer. Nastja folgte ihm, nahm das Bettzeug von einem der Betten und trug es in den Salon, wo sie sich ein Lager auf dem Sofa bereitete. Sie löschte das Licht, zog Schuhe und Pullover aus und kroch in Jeans und T-Shirt unter die Decke. Man konnte ja nie wissen. Womöglich würde sie mitten in der Nacht aufspringen und Hals über Kopf losstürzen müssen, wohin auch immer.
Sie wusste, dass es ihr kaum gelingen würde einzuschlafen, da sich direkt neben ihr, nur ein paar Meter weiter, ein Mann befand, von dem eine unbegreifliche, aber sehr deutlich spürbare Gefahr ausging. Aber wenigstens wollte sie liegen, einfach nur still daliegen und nachdenken. Sie musste den heutigen Tag in Gedanken noch einmal durchgehen, Schritt für Schritt, Wort für Wort, um sich wenigstens ein ganz vages Bild von Pawel Sauljak machen zu können.
Im Schlafzimmer war es still. Pawel schien im Bett zu liegen, ohne auch nur ein einziges Mal seine Lage zu verändern. Aber plötzlich vernahm sie ein Knarren und gleich darauf kaum hörbare Schritte. Die Tür öffnete sich.
»Was ist los?«, fragte Nastja mit gedämpfter Stimme.
»Ich würde Sie gern etwas fragen. Darf ich?«
»Sie dürfen.«
»Habe ich Sie vorhin im Restaurant sehr erschreckt?«
Du Schweinehund!, dachte Nastja. Du hast ein Experiment mit mir gemacht, und jetzt stirbst du vor Neugier, weil du nicht weißt, ob es dir gelungen ist. Die Neugier plagt dich derart, dass du sogar gegen deine heiligen Prinzipien verstößt und mir als Erster eine Frage stellst.
»Sie haben mich mehr verblüfft als erschreckt«, sagte sie in durchaus freundlichem Ton. »Plötzlich haben Sie mich geduzt, obwohl Sie das noch heute Morgen kategorisch abgelehnt haben. Aber Sie haben schließlich zwei Jahre im Straflager verbracht, deshalb war ich darauf vorbereitet, dass Sie sich in irgendeinem Moment mir gegenüber nicht ganz korrekt verhalten würden.«
»Sie sind also überhaupt nicht erschrocken?«
»Nein,
Weitere Kostenlose Bücher