Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
mit leiser Stimme, ohne die Augen zu öffnen.
»Und was könnte Einfluss darauf haben, wie weit sie gehen?«
»Die Angst vor Entlarvung. Solange sie nicht wissen, wer Sie sind, werden sie uns nichts tun. Warum haben Sie sich einen Pass mit meinem Familiennamen machen lassen?«
»Damit sie denken, dass wir verwandt sind. Das wird sie wenigstens für eine gewisse Zeit verwirren.«
»Sie spielen mit dem Feuer. Sie haben einen großen Fehler gemacht.«
»Ist es etwa gefährlich, mit Ihnen verwandt zu sein?«
»Und ob. Sie ahnen nicht einmal, wie gefährlich es ist.«
»Dann klären Sie mich doch bitte auf. Darum bitte ich Sie jetzt schon seit vierundzwanzig Stunden.«
»Sie brauchen darüber nichts zu wissen. Sie müssen nur wissen, dass Sie einen großen Fehler gemacht haben.«
Sehr erfreulich, dachte Nastja zornig. Zu wissen, dass man etwas falsch gemacht hat, und nicht verstehen zu können, warum. Blöder kann man nicht dastehen. Verdammter Mistkerl.
»Für wen arbeiten Sie?«, fragte Sauljak unerwartet. »Für die Miliz oder für die Gegenseite?«
»Gibt es nichts Drittes? Muss einer, der mich engagiert, zwangsläufig ein Milizionär oder ein Krimineller sein?«
»Sie haben einen falschen Pass. Den können Sie sich nur bei der Miliz besorgt haben oder in kriminellen Kreisen.«
»Nein, nicht nur«, sagte Nastja lächelnd. »In den zwei Jahren im Lager ist die Zeit an Ihnen vorübergegangen. Einen falschen Pass kann man heute auf jedem Straßenmarkt kaufen. Er kostet eine Menge Geld, aber es geht problemlos. Du bezahlst, nennst den Namen, der im Pass stehen soll, und gibst ein Foto ab. Am nächsten Tag kannst du den fertigen Pass abholen.«
»Und so sind Sie an den Pass gekommen?«
»Ja, genau so.«
»Heißt das, dass es Ihre eigene Idee war, meinen Namen anzunehmen? Sie haben das alles auf eigene Faust gemacht?«
»Ja, natürlich.«
»Und Ihr Auftraggeber weiß nichts davon?«
»Ich weihe ihn nicht in die Details meiner Arbeit ein. Für ihn ist nur das Ergebnis wichtig. Wie ich zu diesem Ergebnis komme, entscheide ich selbst.«
»In diesem Fall die falsche Entscheidung.«
»Das ist nun nicht mehr zu ändern. Nur wer gar nichts tut, begeht keine Fehler. Sind Sie sich sicher, dass mein Auftraggeber nicht denselben Fehler gemacht hätte?«
»Ich weiß nicht, wer Ihr Auftraggeber ist. Wenn er nicht ausreichend informiert ist, hätte er ihn vielleicht auch gemacht.«
Nastja bekam ein ungutes Gefühl. General Minajew kannte ihren Plan, er wusste, dass sie sich einen Pass auf den Namen Sauljak hatte ausstellen lassen. Warum hatte er sie nicht gewarnt? War er nicht ausreichend informiert? Keine guten Aussichten, wenn es so war. In diesem Fall musste sie sich auf Überraschungen gefasst machen, eine unangenehmer als die andere. Und wenn er gewusst hatte, dass es ein Fehler sein würde, warum hatte er dann geschwiegen? Was für ein Spiel spielte dieser verdammte General Minajew? Die Dinge wurden von Stunde zu Stunde komplizierter.
Die Maschine war bereits im Landeanflug, Nastja bekam taube Ohren und Kopfschmerzen. Ihr labiler Kreislauf machte ihr immer Probleme beim Start und bei der Landung, und die unguten Vorgefühle, die sie jetzt heimsuchten, trugen dazu bei, dass ihr endgültig schlecht wurde.
Das Fahrgestell des Flugzeugs berührte die Erde, die besonders ungeduldigen Passagiere sprangen sofort auf und begannen sich anzuziehen. Jura erhob sich ebenfalls, schlüpfte in seine Jacke, drehte sich zu Nastja um und sah sie an. Sie zuckte kaum merklich mit den Schultern, was bedeuteten sollte: Ich habe keinerlei Anweisungen für dich, mein Kopf ist völlig leer, keine neuen Ideen, geh nach eigenem Gutdünken vor.
»Wie viele sind es?«, fragte Pawel kaum hörbar.
»Vier. Zwei von ihnen gehören zusammen, zwei sind allein.«
»Ihr Verehrer und die zwei aus dem Auto. Wer ist der Vierte?«
»Er steht etwa in der Mitte des Flugzeugs, der Mann mit der Wolfspelzmütze. Er war gestern früh ebenfalls da, vor dem Lager, aber als er den Wolga gesehen hat, ist er wieder verschwunden. Ich weiß nicht, vielleicht gehören sie ja zusammen.«
»Wer von ihnen kann uns nach Ihrer Ansicht am gefährlichsten werden?«
»Jeder. Ich bin schließlich keine Hellseherin und kann keine Gedanken lesen.«
Sauljak drehte sich abrupt zu Nastja um, sah sie an, und sie fühlte wieder, wie ihr heiß wurde.
»Sind Sie eigentlich Hypnotiseur?«, fragte sie mit einem mühsamen Lächeln.
»Nein. Warum?«
»Sie haben einen Blick
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