Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
verfolgt. Wir werden gegen Mittag in Jekaterinburg landen, und im Lauf der folgenden Stunde werden dort vier Maschinen starten, eine nach Wolgograd, eine nach Petersburg, eine nach Irkutsk und eine nach Krasnojarsk. Wir werden neue Papiere bekommen und weiterfliegen. Sollen sie sich dann den Kopf darüber zerbrechen, wohin wir geflogen sind.«
»Aber warum ausgerechnet Jekaterinburg? Gibt es keine anderen Städte mit derartigen Flugplänen?«
»Sicher gibt es die. Aber einen Flughafen wie in Jekaterinburg gibt es nur einmal. Er hat viele interessante Ein- und Ausgänge, und ich kenne sie alle. Haben Sie sonst noch Fragen?«
»Ich würde gern wissen, wer Sie engagiert hat.«
»Wenn Sie darauf eine Antwort wollen, dann müssen wir miteinander verhandeln.«
»Inwiefern?«
»Ich werde Ihnen sagen, wer mich engagiert hat, wenn Sie mir sagen, warum man mich engagiert hat.«
»Wissen Sie das etwa nicht?«
»Ich stelle meinen Auftraggebern keine Fragen. Genau deshalb engagiert man mich. Sie müssen zugeben, dass es sehr praktisch ist, jemanden für sich arbeiten zu lassen, dem man nichts erklären muss. Würde ich zu viele Fragen stellen, wäre ich arbeitslos.«
»Dann stellen Sie keine Fragen.«
»Ist in Ordnung«, sagte Nastja leichthin. »Gehen wir davon aus, dass der Handel zwischen uns nicht zustande gekommen ist.«
»Wohin fliegen wir von Jekaterinburg aus?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Nastja mit einem sorglosen Schulterzucken. »Wir nehmen einfach die Maschine, für die es noch Tickets gibt.«
»Und wenn es überhaupt keine Tickets mehr gibt? Wenn alle vier Maschinen schon ausgebucht sind?«
»Nicht doch, Pawel Dmitrijewitsch«, lachte Nastja. »Wer wird denn so pessimistisch sein.«
Die Maschine war gestartet und flog jetzt ruhig und gleichmäßig, man spürte nur ihr leises Zittern in der Luft. Die schlaflose Nacht zeigte Wirkung, Nastja konnte sich kaum noch wach halten. Ihre Lider wurden schwer wie Blei, aber sie kämpfte mit ganzer Kraft gegen die Versuchung an, die Augen zu schließen und ein wenig zu schlummern. Nicht dass sie Angst gehabt hätte, Pawel ohne Aufsicht zu lassen. Aus einem fliegenden Flugzeug konnte er schließlich nicht entkommen, zudem war Jura Korotkow da und ließ sie beide keinen Moment aus den Augen. Aber Sauljak beunruhigte sie, je länger sie ihn kannte, desto mehr. Eine namenlose Gefahr ging von ihm aus, und neben ihm einzuschlafen hätte bedeutet, sich schutzlos einem unbekannten Feind auszuliefern.
Wieder und wieder ging sie in Gedanken die einzelnen Schritte ihres Planes durch, als über den Köpfen der Passagiere plötzlich die melodische Stimme der Stewardess ertönte.
»Verehrte Fluggäste! Die Wetterlage zwingt uns leider, unsere Flugroute zu ändern. Wir werden nicht auf dem Flughafen Kolzowo in Jekaterinburg landen können, sondern müssen den Flughafen von Uralsk anfliegen. Die Besatzung bittet Sie für diese unvermeidliche Änderung des Flugablaufs um Verständnis.«
Nastja war sofort hellwach. Was sollte sie mit dieser Neuigkeit anfangen? In Uralsk würde niemand sein außer Korotkow, und der konnte in dieser Situation auch nichts tun. Die neuen Papiere für Pawel und sie selbst lagen in Jekaterinburg. Und es würde wenig Sinn machen, in Uralsk unter dem Namen Sauljak in irgendeine nächstbeste Maschine zu steigen. Sie konnten das natürlich tun, aber es würde nur sinnlose Verschwendung von Zeit und Geld bedeuten, da sie so den Schwanz ihrer Verfolger auch weiterhin hinter sich herziehen würden. Ohne die Hilfe des Flughafenpersonals konnten sie ihren Verfolgern nicht entkommen.
Sie wandte den Kopf zu Pawel und sah ihn an. Er saß nach wie vor mit geschlossenen Augen da, aber man konnte sehen, wie sich die Augäpfel unter der dünnen Haut der Lider bewegten.
»Haben Sie es gehört?«, fragte sie.
»Ja.«
»Uns stehen Schwierigkeiten bevor.«
»Ich weiß.«
»Unsere gemeinsame Reise wird sich in die Länge ziehen und möglicherweise etwas unangenehm werden.«
»Ich weiß.«
»Ich bin froh, dass Sie so allwissend sind«, sagte sie unerwartet giftig. »Allerdings wäre es im Interesse Ihrer und auch meiner eigenen Sicherheit nicht schlecht, wenn ich etwas mehr über die Lage wüsste, in der wir uns befinden.«
»Was möchten Sie denn erfahren?«
»Ich wüsste gern, wie viel Macht die Leute haben, die hinter uns her sind, und was wir von ihnen zu erwarten haben.«
»Ihre Macht ist unbegrenzt. Die Frage ist nur, wie weit sie gehen werden«, sagte er
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