Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
freien Stuhl fallen und angelte sich, ohne zu fragen, eine Zigarette aus der Packung, die auf dem Tisch lag.
»Wie bitte?«, Der ältere der beiden Männer runzelte die Brauen. Es war derjenige, der am Vortag vor dem Straflager auf dem Beifahrersitz gesessen hatte.
Der jüngere gab Nastja Feuer. Dabei waren seine Augen auf die Tür geheftet, durch die Sauljak eben den Raum verlassen hatte.
»Pawel behauptet, dass er euch gestern in Samara gesehen hat, und zwar mehrmals, und dass ihr heute in derselben Maschine gesessen habt wie wir. Aber ich glaube, dass er an einem Verfolgungswahn leidet. Versteht ihr«, sie senkte die Stimme und kicherte leise, »er ist ein bisschen durcheinander, er sieht überall Ratten. Jedenfalls haben wir um tausend Dollar gewettet, dass er euch weder in Samara noch im Flugzeug gesehen hat.«
»Natürlich hat er uns nicht gesehen«, erwiderte der ältere Mann schnell. »Er kann uns gar nicht gesehen haben, weil wir nicht in Samara waren.«
»Wir sind von hier«, fügte der Jüngere hinzu.
»Das ist ja meine Rede. Übrigens, Schätzchen«, sie holte ihre Geldbörse aus der Handtasche und reichte dem jüngeren der beiden einen Schein, »du könntest mir was zu trinken holen. Das Wechselgeld kannst du behalten. Ich möchte einen Martini.«
»Ist Pawel Ihr Mann?«, fragte der Ältere mit vorsichtiger Neugier.
»Manchmal muss er jedenfalls ran«, grinste Nastja.
Die Antwort war ordinär, aber die einzig richtige in dieser Situation. Weder ein Nein noch ein Ja, man konnte darüber denken, was man wollte.
»Und hat er das schon lange mit dem Verfolgungswahn?«
»Weiß der Teufel«, antwortete Nastja mit einer ausdrucksvollen Handbewegung. »Ich habe ihn zwei Jahre nicht gesehen, er war im Straflager und ist erst gestern rausgekommen. Hör mal, Alter, du hast einen netten Begleiter. So höflich und gut erzogen. Ein süßes Küken. Wie alt ist er denn?«
»Sechsundzwanzig.«
»Ach so«, meinte Nastja enttäuscht, »das ist zu alt für mich.«
Das »Küken«, kam zurück und stellte ein Glas vor Nastja auf den Tisch. Sie nahm einen Schluck und machte eine zufriedene Miene.
»Genau das Richtige. Danke. Jedenfalls, Jungs, ich verlasse mich auf euch. Wenn er wieder mit dieser Geschichte anfängt, komm ich mit ihm bei euch vorbei, und ihr sagt ihm, was Sache ist. Abgemacht? Der bringt mich nämlich zur Weißglut mit seinem Verfolgungswahn.«
»Klar«, stimmten die beiden zu. »Wir werden ihm schon Bescheid sagen, keine Sorge.«
Pawel war immer noch nicht zurück, und Nastja begann, nervös zu werden. Sie hatte jetzt keinen Grund mehr, an diesem Tisch sitzen zu bleiben, aber solange die Männer sich mit ihr unterhielten, konnte sie wenigstens sicher sein, dass sie Pawel in Ruhe ließen.
Es gelang ihr, die beiden in ein Gespräch zu verwickeln. Sie spielte ein vulgäres, nicht mehr ganz nüchternes, etwas verrücktes Frauenzimmer, streichelte dem Jüngeren, der sich als Serjosha vorstellte, die Hand, zwinkerte dem Älteren, der Kolja genannt wurde, viel sagend zu und schnorrte Zigaretten, während ihr inneres Metronom die Minuten zählte. Was war los mit Pawel? Wo blieb er so lange?
Sie merkte, dass ihre Gesprächspartner, nachdem sie die erste Verwirrung überwunden hatten, nun versuchten herauszufinden, wer sie war. Sie log das Blaue vom Himmel herunter, um die beiden endgültig in die Irre zu führen, sie ließ keine Gesprächspausen entstehen und verhielt sich so unbefangen wie nur möglich. Endlich erschien Pawel in der Türöffnung.
»Oh!« Sie riss sofort ihre Finger von Serjoshas Hand. »Pawel ist wieder da. Das war’s, Jungs, macht es gut. Es war nett, euch kennen zu lernen.«
Pawel sah schrecklich aus. Er schien sich nur noch mit Mühe auf den Beinen zu halten.
»Was ist? Geht es Ihnen noch schlechter?«
Er nickte.
»Wollen wir gehen?«
»Ja, das ist wahrscheinlich besser.«
»Können wir einen Wagen nehmen?«, fragte Pawel mit gepresster Stimmte, als sie das Lokal verlassen hatten.
»Natürlich. Sie werden nicht hinter uns herfahren. Sie werden sich von jetzt an sowieso auf größerem Abstand halten.«
Nastja stellte sich an den Straßenrand und hob die Hand. Nach ein paar Minuten hielt ein Privatwagen.
»Zum Flughafen«, sagte sie, durch das geöffnete Fenster zum Fahrer hinabgebeugt.
»Wie viel?«
»So viel du verlangst. Ich bin nicht von hier, ich kenne die Preise nicht.«
»Fünfzig Dollar.«
»In Ordnung.«
Sie setzte sich nach vorn auf den Beifahrersitz,
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