Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
Semjonow geschehen?«
»Letztlich haben wir zwei Morde, zwei Selbstmorde und zwei unklare Todesfälle«, konstatierte Korotkow. »Hat Stassow noch nicht angerufen?«
»Bis jetzt noch nicht. Abwarten und Tee trinken, vielleicht erfahren wir ja etwas Interessantes von Tatjana. Aber lass uns jetzt zu Knüppelchen gehen. Die Stunde ist um.«
»Das ist nicht gerade viel«, sagte der Oberst skeptisch, nachdem er die beiden angehört hatte. »Was schlagt ihr vor?«
»Wir könnten die Leute auf der Liste überprüfen, die in Moskau wohnen«, sagte Korotkow schnell.
»Du bringst mich zum Lachen«, sagte Gordejew düster. »Wie viele Personen sind das? Und wie viele sind wir? Auf der Liste stehen hundert Namen. Man wird schließlich nicht alle diese Leute aus dem Weg räumen. Die Opfer werden nach einem bestimmten Prinzip ausgewählt. Und dieses Prinzip müsst ihr herausfinden, anstatt mir sinnlose Vorschläge zu machen. Wie sieht es aus?«
»Ich kann nicht nach dem Prinzip suchen, solange ich nicht weiß, um welchen Personenkreis es sich handelt«, sagte Nastja eigensinnig. »Was ist mit Isotow und Semjonow? Gehören sie auch zu diesem Personenkreis oder nicht?«
»Wie willst du das herausfinden? Ich würde dir raten, es umgekehrt zu machen. Nimm die vier, bei denen du keine Zweifel hast, finde den gemeinsamen Nenner, und dann wirst du sehen, ob die andern beiden dazupassen.«
»Das wird auch nichts zur Klärung beitragen. Hier ist doch alles völlig undurchsichtig, Viktor Alexejewitsch. Warum hat der Geistesgestörte Lutschenkow erschossen? Warum hat die Tochter des Gouverneurs ihre Eltern umgebracht? Was für einen gemeinsamen Nenner könnte es zwischen diesen beiden Mördern geben?«
»Tatsächlich, was könnten die beiden wohl gemeinsam haben?«, gab Gordejew zurück. »Es liegt doch auf der Hand, oder?«
»Sie sind beide nicht richtig im Kopf.«
»Also weißt du es doch.«
»Aber es überzeugt mich nicht«, entgegnete Nastja starrsinnig. »Zwei Verrückte in zwei verschiedenen Städten . . . nein.«
»Du sagst mir nicht die Wahrheit, Kindchen«, meinte Viktor Alexejewitsch unerwartet sanftmütig. »Aus irgendeinem Grund hast du Angst davor, mir zu sagen, was du denkst. Das ist schade. Habe ich dich denn je getadelt für deine Ideen? Habe ich deine Ideen jemals dumm oder abwegig genannt? Wovor hast du Angst?«
Nastja lächelte. Ihr Chef konnte in ihr lesen wie in einem offenen Buch, sie konnte nichts vor ihm verbergen. Natürlich hatte sie Angst. Die Tatsache, dass sowohl Gordejew als auch ihr eigener Mann sie innerhalb kurzer Zeit beide quasi als Spinnerin bezeichnet hatten, hatte großen Eindruck auf sie gemacht. Sie war vorsichtig geworden und horchte ständig misstrauisch in sich selbst hinein.
»Du sagst doch immer selbst, dass es nichts gibt, was es nicht gibt«, fuhr Gordejew fort. »Für alles existiert eine Erklärung, man muss sie nur finden. Also finde sie. Wir machen es so, Kinder. Ruft Mischa Dozenko an und bezieht ihn in die Sache ein. Offiziell ermitteln wir in den Fällen Jurzew und Lutschenkow. Mischa soll sich Lutschenkows Mörder vornehmen und die Leute, die auf dem Empfang im Hotel Rossija waren. Wir haben Glück, weil man beide Fälle Kostja Olschanskij übertragen hat. Ich werde selbst mit Kostja sprechen, er darf nicht zulassen, dass einer der beiden Fälle an einen anderen Untersuchungsführer geht. Ihr wisst ja, wie es gewöhnlich läuft: Bevor ein Fall endlich mehr schlecht als recht abgeschlossen ist, wird er hundertmal von einem Untersuchungsführer zum nächsten weitergegeben. Diesmal nicht, dafür werde ich sorgen. Ist euch alles klar? Dann an die Arbeit. Und lasst die Flügel nicht hängen.«
»Wie soll man da die Flügel nicht hängen lassen«, sagte Nastja niedergeschlagen, nachdem sie mit Korotkow wieder in ihrem Büro war. »Der hat gut reden. Es ist zum Verrücktwerden. Wenn wenigstens Stassow endlich anrufen würde.«
Aber Stassow meldete sich erst gegen Abend.
»Machst du Feierabend?«, fragte er und erklärte im selben Atemzug: »Dann hole ich dich ab. Ich bin ganz in der Nähe.«
»Wlad, hast du Tatjana erreicht?«
»Ich sagte doch, ich hole dich ab.«
Stassow erschien nach einer halben Stunde. Nastja stieg zu ihm ins Auto und erblickte auf dem Rücksitz seine Tochter Lilja. Es war Samstag, und die geschiedenen Väter hatten ihren Kindertag.
»Hallo«, grüßte Nastja das Mädchen.
»Guten Tag, Tante Nastja«, sagte Lilja höflich. Sie wurde in einem Monat
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