Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
er. »Aus irgendeinem Grund braucht er dich dringend. Er ist zum General gegangen, und ich soll aufpassen, dass du nicht wieder wegläufst. Ich habe eine Idee, Nastja, und bin bereit, sie dir zu verkaufen.«
»Was willst du dafür haben?«
»Liebe und Freundschaft, wie immer. Etwas anderes ist bei dir doch sowieso nicht zu holen.«
»Her mit der Idee.«
»Erinnerst du dich, wen unser Freund Stassow geheiratet hat?«
»Er hat Tatjana geheiratet. Warum?«
»Wie kann man nur so begriffsstutzig sein! Wer ist denn unsere Tatjana?«
»Genau, Korotkow. Du bist ein Genie!«
Stassows Frau Tatjana lebte in St. Petersburg und war Untersuchungsführerin. Nastja wählte sofort Stassows Nummer. Zum Glück hatte er ein Handy und war immer zu erreichen.
»Wlad, könntest du mal deine Frau anrufen?«, fragte sie ohne Umschweife.
»Könnte ich. Warum?«
»In St. Petersburg hat sich ein gewisser Mchitarow erschossen. Meinst du, man kann es Tatjana zumuten, dass sie sich ein paar Gedanken über die Sache macht?«
»Das weiß ich nicht. Sie mag es eigentlich nicht, wenn sich jemand in ihre Angelegenheiten einmischt. Sie hat ihre Prinzipien, und ihre Unabhängigkeit als Untersuchungsführerin ist ihr heilig.«
»Dann erkläre ich es dir kurz. Vor ein paar Tagen wurde in Moskau ein hoher Beamter der Generalstaatsanwaltschaft ermordet. Man hat den Mörder festgenommen, er tut so, als sei er nicht zurechnungsfähig. Der Moskauer Beamte und Mchitarow gehören zu einer politischen Gruppierung, an deren Spitze ein gewisser Malkow steht. Es wäre nicht schlecht, die Umstände etwas näher zu betrachten, unter denen Mchitarow gestorben ist. Womöglich hat er sich ja gar nicht selbst erschossen. Das ist im Grunde alles.«
»Ich habe verstanden, was du willst. Ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen«, lachte Stassow. »Wo bist du im Moment?«
»Im Büro.«
»Ich rufe zurück«, sagte er und legte auf.
Im nächsten Moment erschien Gordejew in Nastjas Büro. Er sah grimmig und geradezu beleidigt aus.
»Da bist du ja. Das ist gut. Setz dich, Kindchen, und hör mir aufmerksam zu. Eben haben wir die Nachricht bekommen, dass Malkow ebenfalls ermordet wurde. Nicht in Moskau allerdings, sondern bei sich zu Hause.«
»Donnerwetter«, entfuhr es Korotkow. »Wer war es denn?«
»Stell dir vor, seine eigene Tochter. Sie hat ihren Vater und ihre Mutter erschossen. Eine verrückte Drogenabhängige. Hier ist die Liste der Leute, die hinter Malkow standen und ihn als Präsidentschaftskandidaten unterstützten. In einer Stunde möchte ich hören, was euch dazu eingefallen ist. Das betrifft auch dich, Jura.«
Gordejew drehte sich um und verließ das Büro, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
ZEHNTES KAPITEL
Die Liste der aktiven Anhänger von Sergej Georgijewitsch Malkow erwies sich als ziemlich lang. Nastja und Korotkow teilten sich die Liste, und jeder klemmte sich hinter sein Telefon. Nach etwa einer Dreiviertelstunde begann sich das Bild zu klären. Der Abgeordnete der Staatsduma Leonid Michailowitsch Isotow befand sich wegen eines Mordanschlags auf seine Ehefrau in polizeilichem Gewahrsam. Er war, wie es schien, aus dem Spiel. Der Geschäftsmann Semjonow war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Dazu kamen Mchitarows Selbstmord und der unverständliche Mord an Lutschenkow, dem Beamten der Staatsanwaltschaft. Und allen voran Gouverneur Malkow, der von seiner eigenen Tochter erschossen wurde.
»Ich würde auch Jurzew hier einordnen«, sagte Nastja nachdenklich. »Semjonow machte Ölgeschäfte, und Jurzew muss zu diesen Leuten Kontakt gehabt haben. Nicht umsonst hat man ihn zu dem Empfang im Hotel Rossija eingeladen.«
»Aber Jurzew steht nicht auf der Liste«, widersprach Korotkow.
»Kein Wunder. Über den muss es doch eine Akte von mindestens fünf Kilo geben. Warum sollte ein Präsidentschaftskandidat seine Verbindung zu einem Mann an die große Glocke hängen, der unter Beobachtung der Miliz steht? Mir ist nur nicht klar, auf welchen gemeinsamen Nenner sich die sechs Männer bringen lassen. Zwei von ihnen, Lutschenkow und Malkow, wurden ermordet. Und die anderen? Gibt es vielleicht gar keinen gemeinsamen Nenner, ist alles nur Zufall? Ich sehe nicht, wie man einen Men-sehen dazu bringen könnte, seine eigene Frau unter die Räder eines Autos zu stoßen. Man kann jemanden zwingen, sich umzubringen, sich zu erschießen oder zu vergiften, solche Fälle sind aus der Geschichte der Kriminologie bekannt. Aber was ist mit Isotow und
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