Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
bis jetzt noch nicht bekannt«, teilte die zauberhafte schwarzhaarige Nachrichtensprecherin mit.
Auf dem Bildschirm erschienen die Fotos der führenden Politiker, von denen die Rede war. Wjatscheslaw Jegorowitsch Solomatin lächelte ungut, während er die ihm bekannten Gesichter betrachtete. Da haben wir sie alle, dachte er und warf einen Blick auf seine Faust, die sich unwillkürlich zusammengeballt hatte. Alle, bis auf den Letzten. Und alle sind sie Dreck, weil es unter ihnen keinen einzigen wirklich unabhängigen Menschen gibt. Hinter jedem von ihnen steht kriminelles Kapital, weil es nicht-kriminelles, ehrlich verdientes Geld in unserem Land nicht mehr gibt. Das ist heute das Gesetz der Wirtschaft. Die Konzentration von ehrlichem Kapital in einer Hand – das ist Zukunftsmusik, das werden wir nicht mehr erleben.
Über diejenigen, die man jetzt auf dem Bildschirm zeigt, hätte Wladimir Bulatnikow einiges erzählen können, dachte Solomatin, aber leider ist er nicht mehr da, leider haben sie ihn für immer mundtot gemacht, weil sie Angst vor ihm hatten. Aber das macht nichts, es gibt ja Pawel Sauljak, seinen einstigen Gehilfen. Der weiß freilich nicht ganz so viel, aber genug, um diesen halb garen Präsidentschaftskandidaten das Genick zu brechen. Es gibt nur einen einzigen Präsidenten, der für dieses Land richtig ist, das Volk hat ihn bereits einmal gewählt, und einen anderen braucht es nicht.
Wjatscheslaw Jegorowitsch zweifelte keinen Augenblick daran, dass es ihm gelingen würde, sich mit dem einstigen Gehilfen des verstorbenen Generals zu einigen. Jede Übereinkunft war letztlich nur eine Frage des Geldes und der Garantien. Und Solomatin verfügte über sehr viel Geld und über alle Garantien.
ZWEITES KAPITEL
Der dritte Februar war ein Samstag, um acht Uhr morgens war der Weg vom Bahnhof zur Strafkolonie völlig menschenleer. Es war schon hell, man konnte die Gegend gut erkennen, und Nastja dachte, dass der Samstag wahrscheinlich gar kein so schlechter Tag für Sauljaks Entlassung war. Wenn Knüppelchen Recht hatte und tatsächlich jemand vorhatte, den unseligen Geheimnisträger zu jagen, dann würde es an einem Samstagmorgen gar nicht so einfach sein, es so zu machen, dass es im Ort unbemerkt blieb.
Vor zwei Tagen, nachdem sie in Samara angekommen war, hatte sie bei der Lagerverwaltung anrufen und sind erkundigen wollen, um welche Uhrzeit Sauljak das Lager verlassen würde, aber dann hatte sie ein wenig nachgedacht und es sich anders überlegt. Laut General Minajew gab es Leute, die großes Interesse an Pawel Dmitrijewitsch zeigten und bereits aktiv geworden waren. Vermutlich hatten auch sie bereits Kontakt mit der Lagerverwaltung aufgenommen. Und wenn es so war, dann war es klüger, wenn Anastasija Kamenskaja, die Majorin der Miliz, sich im Hintergrund hielt. Schließlich konnte man nicht wissen, wer von den Lagermitarbeitern bestochen worden war. Und da die Dinge ja meistens nach dem Prinzip des größtmöglichen Pechs funktionierten, hätte sie wahrscheinlich genau diese Person an den Apparat bekommen.
Gegen halb neun hatte sie das Gebäude der Lagerverwaltung erreicht und ließ sich auf einer Bank nieder. Das Tor, durch das Sauljak kommen musste, war nur fünf Meter von ihr entfernt. Nastja stellte ihre große, aber nicht schwere Tasche neben sich ab, schob die Hände in die Jackentaschen und bereitete sich auf eine lange Wartezeit vor. Sie hatte bereits in der S-Bahn kalte Füße bekommen, und während sie jetzt auf der Bank saß, versuchte sie, ihre Zehen in den Stiefeln zu bewegen, damit die Durchblutung angeregt und ihr dadurch wenigstens etwas wärmer würde.
Um Viertel nach neun näherte sich ein grauer Wolga der Kolonie. Der Fahrer bremste direkt vor dem Lagertor, aber dann, ganz offensichtlich einer Anweisung seines Fahrgastes gehorchend, der Nastja mit einem Blick gestreift und unwillkürlich die Stirn gerunzelt hatte, entfernte er sich wieder, etwa fünfzig Meter in die Richtung, in die Sauljak an diesem Tag seinen Weg in die Freiheit antreten musste.
Die Ersten sind eingetroffen, dachte Nastja mit Genugtuung. Ob sie auch einfach nur möglichst frühzeitig gekommen sind, genau wie ich, oder hat man ihnen mitgeteilt, um welche Uhrzeit Sauljak das Lager verlassen wird? Wenn sie die Uhrzeit kennen, dann haben sie ihre Leute in der Kolonie. Gut zu wissen.
Sie erhob sich ohne Eile von der Bank, ging ein paar Schritte und stellte sich direkt vor das Tor. Sie musste auf jeden Fall die
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