Anastasija 06 - Widrige Umstände
Garantie dafür, dass der Vermittler ihn nicht schon damals, sechsundachtzig, an Irina verraten hat. Und wenn Irina jemandem davon erzählt hatte? Er bestreitet, Irina zu kennen, und jemand anders behauptet das Gegenteil und verweist auf Irina. Er wollte sich absichern, ist dabei aber äußerst grob und ungeschickt vorgegangen. Das ist ihn teuer zu stehen gekommen und hat uns veranlasst, ihn genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich denke, genauso war das Ganze. Und daraus ergeben sich zwei Fragen: Womit konkret wollte die Filatowa Pawlow einschüchtern, und was hat ihn in Wirklichkeit so erschreckt? Klar, dass er den Mord nicht begangen hat. Das war ein Auftragsmord, das heißt, es gab einen äußerst gewichtigen Grund dafür.«
»Klingt schlüssig.« Gordejew klopfte nachdenklich mit dem Löffel gegen die Tasse, aus der er Tee trank. »Und alles, was wir bis jetzt wissen, scheint in dieses Bild zu passen. Und wenn es nun doch nicht so war? Wie, Anastasija? Wäre das möglich?«
»Natürlich. Mir ist bisher bloß noch nichts anderes eingefallen.«
»Na schön, solange wir nichts anderes haben, arbeiten wir erst einmal mit dieser Hypothese. Überlegen wir, was wir tun können und was nicht. Wir können denselben Weg gehen wie die Filatowa, nach Ensk fahren, uns die Karteikarten und die Strafakten ansehen, die Liste aller Namen vollständig rekonstruieren, eine groß angelegte Überprüfung starten und versuchen herauszufinden, womit sie unseren Freund Pawlow so erschreckt hat. Angenommen, wir finden das heraus. Was bringt uns das? Uns geht es nicht darum, Pawlow der Korruption zu überführen, zumal sich das praktisch nicht beweisen lässt. Wir ziehen nur für uns den Schluss, dass Alexander Jewgenjewitsch nicht ganz sauber ist. Und weiter? Damit kommen wir der Aufklärung des Mordes an der Filatowa keinen Millimeter näher. Mehr noch, Pawlow ist erst seit knapp einem Jahr weg aus Ensk, der hat da noch überall seine Leute, und wenn wir dort aktiv werden, weiß er binnen zwei Stunden Bescheid. Und das können wir nicht gebrauchen.«
Ja, Papa, dachte Nastja, der Kreis ist wirklich eng. Du hattest Recht: Nichts ist schlimmer als Ermittlungen im Kollegenkreis.
»Wenn wir annehmen, dass Anastasija Recht hat und Pawlow den Mord initiiert hat, weil es etwas gibt, das für ihn eine tödliche Gefahr darstellt«, fuhr Gordejew indessen fort, »dann dürfen wir ihn auf keinen Fall aufschrecken. Aus zwei Gründen. Erstens, die Filatowa wurde ermordet, weil sie die einzige Gefahrenquelle war. Sie wurde beseitigt, und Pawlow wiegt sich in Sicherheit. Wenn wir ihn durch unser plötzliches Interesse für Ensk aufschrecken, was wird er dann tun? Wohl kaum eine Bombe auf die Innenverwaltung in Ensk und obendrein auch auf die Petrowka werfen. Er wird abhauen, sich erschießen, aber keinesfalls wird er uns zum Mörder führen. In dieser Situation wird der Mörder ihm nicht helfen, da hängen zu viele Leute drin. Zweitens dürfen wir Pawlow nicht erschrecken, weil seine Selbstsicherheit unser Trumpf ist. Ich hoffe, du hast ihm seine Lügen nicht unter die Nase gerieben?«, wandte er sich an Nastja.
»Keine Spur«, versicherte sie. »Ich habe alles für bare Münze genommen, die Filatowa und die Dissertation.«
»Sehr gut. Pawlow ist vorsichtig, zwar nicht sehr professionell, dafür aber äußerst vermessen. Er hat eine Menge Fehler gemacht, aber er ahnt es nicht einmal. Und das soll er auch nicht. Wir haben ihm vorgegaukelt, die Hypothese ›Wissenschaft‹ sei abgearbeitet und ad acta gelegt. Die Kamenskaja ist im Urlaub, und wir verfolgen mit unseren Ermittlungen nun die Linien Interpol und Idzikowski. Andererseits haben wir ihn in seiner Meinung bestärkt, er sei klug und geschickt. Diesen Eindruck müssen wir festigen. Dann können wir ihn dazu bringen, dass er so handelt, wie wir wollen. Jemand, der aufgeschreckt ist, macht zwar aus Angst viele Fehler, ist aber unberechenbar und nicht zu steuern. Soll Pawlow ruhig denken, dass er alles richtig macht. Dmitri«, er sah Sacharow an, »was ist mit dir? Steigst du aus oder machst du weiter?«
»Viktor Alexejewitsch, ich habe Ihnen doch gesagt, Sie können voll auf mich zählen.«
»Danke. Das war’s dann. Jetzt zu Kowaljow, besser gesagt, zu Rudnik. Rudnik kennt Pawlow gut, das habe ich bereits herausgefunden. Anastasija, du nimmst dir Rudnik vor. Bitte Pawlow um Hilfe. So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Wir lenken Pawlow ab, geben ihm zu verstehen, dass du als
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