Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
bemüht, seine Verlegenheit zu überspielen.
»Nicht alle, nur so banale. Du musst nicht verlegen sein, alle lassen sich von meinem Aussehen täuschen, da bist du keine Ausnahme. Eine stille, verhuschte graue Maus – das ist sehr bequem, da nimmt dich keiner für voll.«
»Und in Wirklichkeit bist du ein bissiger Hecht?«
»In Wirklichkeit bin ich eine bösartige wilde Ratte. Nun steh da nicht rum wie ein Ölgötze, komm in die Küche. Was trinkst du, Tee oder Kaffee?«
»Tee. So spät keinen Kaffee.«
Er sah sich um. Die Küche war winzig, aber, wie Stassows geschultes Auge registrierte, liebevoll und sorgfältig so eingerichtet, dass man viel Zeit darin verbringen konnte. Über dem Tisch hing eine helle Lampe – offenkundig wurde hier nicht nur gegessen, sondern auch gelesen. Die Möbel waren so arrangiert, dass man vom Stuhl aus Herd, Spüle und Arbeitsplatte bequem erreichen konnte. Alles kompakt, nichts Überflüssiges. Stassows eigene Küche war chaotisch, aber er kam nie dazu, sie in Ordnung zu bringen.
»Kennst du Satotschny?«, fragte er plötzlich aus heiterem Himmel.
»Iwan Alexejewitsch? Ja«, antwortete Nastja, während sie aus einem langen dünnen Baguette und einem dicken Stück Käse geschickt Käsetoasts richtete.
»Und was hältst du von ihm?«
»Ein erstklassiger Profi. Aber das weißt du ja selbst. Du hast doch bei ihm gearbeitet, oder?«
Nastja hatte Recht, Stassow hatte im Dezernat organisierte Kriminalität gearbeitet, und Satotschny leitete die zuständige Abteilung im Ministerium.
»Hab ich«, bestätigte er. »Aber mich interessiert deine Meinung.«
»Hör doch auf.«
Sie drehte sich zu ihm um und lehnte sich gegen einen schmalen Küchenschrank, haargenau den gleichen, der auch bei Stassow stand, nur in einer anderen Farbe.
»Wieso interessiert dich meine Meinung? Du hast bloß einen Haufen Mist über Iwan und mich gehört, darum fragst du. Meinst du, ich weiß nicht, dass man mich für seine Geliebte hält? Das weiß ich sehr wohl. Und am liebsten, Stassow, würde ich dir jetzt einfach sagen, wo und was du mich kannst, und zwar drastisch und deutlich. Aber weil unbefriedigte Neugier schlimmer ist als Zahnschmerzen, beantworte ich dir deine Frage. Ich habe nie mit General Satotschny geschlafen. Niemals. Aber dass er mir gefällt, das ist wahr. Das stimmt. Ich sage dir sogar noch mehr: Genau einen Monat vor meiner Hochzeit war ich in ihn verliebt, allerdings nur ein paar Tage, das kommt bei mir vor. Weißt du, das ist wie ein Schlag, ich kann nichts dagegen tun. Aber das vergeht schnell, spätestens nach zwei Wochen. Länger als zwei Wochen hat sich noch kein Mann in meinem schnell entflammbaren Herzen gehalten. Bis auf Tschistjakow, deshalb habe ich ihn am Ende auch geheiratet. Zufrieden mit der Antwort?«
»Entschuldige«, sagte Stassow schlicht. »Ich wollte dich nicht kränken. Ich war tatsächlich neugierig. Satotschny ist schließlich nicht irgendwer. Und ihr seid zusammen gesehen worden . . .«
»Was noch sehr oft Vorkommen wird. Für alle Fälle sage ich dir gleich, dass wir zweimal im Monat sonntags frühmorgens im Ismajlowskij-Park spazieren gehen. Von sieben bis neun. Das ist Tradition, eine Art Ritual.«
»Mein Gott, worüber redest du denn mit Iwan? Er und du . . . Ein komisches Paar.«
»Das verstehst du nicht«, erwiderte Nastja kühl, während sie die Brotscheiben mit Käse in einer Pfanne verteilte. »Man muss nicht unbedingt reden. Die Situation selbst erzeugt einen bestimmten seelischen Zustand. Das erste Mal bin ich so mit ihm spazieren gegangen, als ich an einem Mordfall arbeitete, in den ein Mitarbeiter von Satotschny verwickelt war. Wir liefen durch den Park, erörterten, wer derjenige sein konnte, der interne Informationen nach außen dringen ließ, und verdächtigten uns insgeheim gegenseitig. Ein scheußliches Gefühl. Doch dann hielten wir es beide nicht mehr aus und redeten Klartext. Also: Ich traue Ihnen nicht, und zwar aus dem und dem Grund, und ich meinerseits Ihnen auch nicht, aus dem und dem Grund. Jedenfalls, wir redeten miteinander. Und uns fiel beiden ein Stein vom Herzen. Wir fühlten uns auf einmal so wohl, so warm und geborgen . . . Seitdem treffen wir uns frühmorgens, gehen spazieren und schweigen, und das ist die reine Seligkeit.«
Stassow schwieg, er musste daran denken, wie er vor vier Monaten mit Tatjana, die er gerade erst kennen gelernt hatte, durch die Straßen gelaufen und dabei vor Entzücken und unerklärlicher
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