Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
Wir werden uns auf einen strengen Verweis beschränken.«
Tomtschak kehrte in sein Büro zurück und rief sofort seine Frau an.
»Sag Galja, dass alles in Ordnung ist. Man wird ihren Sohn nicht exmatrikulieren. Er bekommt natürlich einen Verweis, aber das ist eine Lappalie. Hauptsache, er wird nicht zur Armee einberufen.«
Am selben Abend erschien die glückliche Mutter mit einer Flasche Sekt und einer riesigen Schachtel Pralinen bei den Tomtschaks, sie schluckte ihre Tränen hinunter, sah Slawa ergeben in die Augen und bedankte sich ein ums andere Mal.
Und am nächsten Tag legte man Tomtschak den Exmatrikulationsbeschluss zur Unterschrift vor. Ihm wurde schwarz vor Augen.
»Lassen Sie mir den Beschluss hier«, sagte er, »und bringen Sie mir sämtliche Unterlagen. Ich muss wissen, was ich da unterschreibe.«
Er war überzeugt davon, dass man in der Personalabteilung alles durcheinander gebracht hatte, wie immer, dass man ihm nicht den letzten Beschluss vorgelegt hatte, sondern den, der vor seinem Gespräch mit Strelnikow gefasst worden war. Nach zehn Minuten befanden sich sämtliche Unterlagen über den Fall auf seinem Schreibtisch. Eine Fotokopie des Protokolls über die begangene Ordnungswidrigkeit und die an die Hochschule ergangene Meldung der Miliz, auf der oben Strelnikows Anweisung stand: Exmatrikulieren. Und das Datum. Es war nicht von gestern, sondern von heute.
Tomtschak stürzte zum Büro des Rektors.
»Wolodja, hast du unser gestriges Gespräch vergessen? Du hast mir doch versprochen, dass die Exmatrikulation rückgängig gemacht wird.«
»Das geht leider nicht«, sagte Strelnikow kalt. »Wenn wir uns so verhalten, werden wir den Sumpf hier niemals austrocknen. Du bist mein Stellvertreter und musst das verstehen. Die Studenten machen, was sie wollen, sie schwänzen ständig die Vorlesungen, und manche erscheinen überhaupt nur noch zu den Prüfungen. Wir haben überhaupt keine Kontrolle mehr über sie. Das Prestige unserer Hochschule ist fast auf null gesunken. Und wir beide müssen dieses Prestige wieder auf das einstige Niveau bringen und es sogar noch anheben. Es geht um unsere Hochschule, um deinen und meinen Ruf.«
»Aber ich habe der Mutter doch versprochen, dass alles wieder in Ordnung kommt.«
»Entschuldige dich bei ihr und wälze alles auf mich ab. Sag ihr einfach, dass der Schweinehund ich bin, dass du alles getan hast, was du konntest. Lass uns lieber Folgendes besprechen . . .«
An diesem Tag mochte Tomtschak nicht nach Hause gehen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie Larissa reagieren würde, und ihm war klar, dass sie Recht hatte. Aber die Wirklichkeit übertraf alle seine Erwartungen, sogar die schlimmsten. Seine Frau bekam einen hysterischen Anfall. Sie schrie fast eine ganze Stunde lang ohne Unterbrechung, sie weinte und nahm wiederholt Valocordin-Tropfen. Alles in allem handelte es sich bei ihren Verwürfen um Variationen eines Themas mit zwei Motiven: Wie sollen wir der unglücklichen Mutter jetzt in die Augen schauen, und warum erlaubst du Strelnikow, dich so zu behandeln? Warum ist sein Wunsch dir Befehl, während deine Wünsche rein gar nichts für ihn bedeuten? Bist du ein Mensch, eine Persönlichkeit, bist du sein Freund, oder bist du einfach ein Stück Dreck?
Zu weniger dramatischen Konflikten kam es ziemlich häufig, da Wladimir Alexejewitsch Strelnikow ständig Anlass dazu gab. Sowohl Larissa Tomtschak als auch Anna Leontjewa hassten ihn von Tag zu Tag mehr, obwohl sie nach wie vor nicht verstehen konnten, warum ihre Ehemänner sich das alles gefallen ließen und Strelnikow alles nachsahen.
In den drei Wochen, die Ljuba Sergijenko bei den Tomtschaks verbrachte, machte Larissa ihrem Herzen Luft und lud auf Strelnikows Exfreundin alles ab, was sich im Laufe der Jahre an Bitternissen in ihr angestaut hatte. Ljuba hörte ihr mit wachsendem Entsetzen zu. War dieser Despot, dieser unverschämte Egoist, wirklich der Wolodja Strelnikow, den sie so geliebt hatte und den sie hatte heiraten wollen? Ihr gegenüber hatte er sich immer großartig verhalten, er war fröhlich, immer besorgt um sie, er sparte nicht mit großen Gesten und machte ihr oft Geschenke, er führte sie an interessante Orte aus und sorgte ständig für Überraschungen. Sie erinnerte sich gut an jene Fahrt zum Flughafen, für die er ihr großzügig einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt hatte. Dabei hätte das keinesfalls sein müssen, Ljuba musste niemanden abholen, sie hatte sich nur von einer
Weitere Kostenlose Bücher