Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
Freundin verabschieden wollen, die mit einem Arbeitsvertrag in der Tasche für drei Jahre in die Staaten flog. Sie hatte ja nicht ahnen können, was diese Fahrt mit dem Dienstwagen die Leontjews kosten würde.
Während der langen Monate in der Türkei hatte Ljuba Sergijenko davon geträumt, wie sie nach Moskau zurückkehren würde, zu Strelnikow, wie sie ihn lieben und wie sie seine Frau werden würde. Der Gedanke daran, dass sie nach all den Leiden in das Reich der Liebe zurückkehren würde, wärmte sie und hielt sie am Leben. Aber es hatte sich herausgestellt, dass sie in das Reich des Hasses zurückgekehrt war. Eines grenzenlosen, brennenden, blinden Hasses, der ihr die Finger im Krampf verdrehte und den Hals zuschnürte.
* * *
Die Einkaufstaschen waren schwer und zogen an Tatjanas Armen, aber sie ärgerte sich nicht, sondern freute sich dieser Last. Gewöhnlich versorgte eine Verwandte ihren Haushalt, die Schwester ihres ersten Mannes, mit der sie zusammenlebte, sodass Tatjana ungehindert ihrer Arbeit und ihrem Hobby nachgehen konnte. Es handelte sich um ein sehr interessantes Hobby: Tatjana Obraszowa, leitende Untersuchungsführerin bei der Verwaltung für Inneres in St. Petersburg, schrieb in ihrer Freizeit unter dem Pseudonym Tatjana Tomilina Krimis. Obwohl sie das bereits seit mehreren Jahren tat, konnte sie sich nicht daran gewöhnen, dass man sie für eine der besten Krimiautorinnen des Landes hielt und dass ihre Bücher reißenden Absatz fanden. Das alles schien nichts mit ihr selbst zu tun zu haben, und wenn es dennoch sie meinte, dann war es nicht mehr als ein netter Scherz. Sie war eine gute Untersuchungsführerin und hielt ihre Arbeit ganz aufrichtig für das Wichtigste in ihrem Leben.
Tatjana war vor einigen Tagen aus dem Urlaub zurückgekehrt, den sie mit ihrem dritten Mann und seiner neunjährigen Tochter Lilja im Süden verbracht hatte. Ihr Mann lebte in Moskau, und Tatjana hatte sich entschlossen, die noch verbliebenen zwei Urlaubswochen bei ihm in der Hauptstadt zu verbringen. Sie kochte ihrem Mann Suppen und briet Frikadellen für ihn. Sie liebte diese Beschäftigung, zumal Wladislaw, den Tatjana Dima nannte, ein sehr dankbarer Esser mit beneidenswertem Appetit war und ihre kulinarischen Meisterleistungen nicht genug loben konnte. In Petersburg hatte sie für solche Dinge keine Zeit, dort überließ sie das Kochen ihrer wundervollen Verwandten Irotschka Milowanowa. Doch hier, in Moskau, gefiel es ihr, am Herd zu stehen und ihren Mann zu bekochen, zumal ihr Kopf jetzt mit nichts Besonderem beschäftigt war und sie sich beim Zubereiten von Fleisch und Salat Gedanken über die Handlung ihres neuen Buches machen konnte.
Um diese Uhrzeit war die Metro nicht überfüllt, Tatjana hatte einen bequemen Sitzplatz in einer Ecke des Wagens gefunden und die schweren Einkaufstaschen zu ihren Füßen abgestellt. Neben ihr nahm eine junge Frau Platz und vertiefte sich sofort in ein Buch. Tatjana blickte verstohlen auf die geöffneten Seiten – es interessierte sie immer, was die Leute in den öffentlichen Verkehrsmitteln lasen – und lächelte. Die Frau las ihr neuestes Buch mit dem Titel »Dreh dich um und geh«.
Tatjana betrachtete die neben ihr sitzende Frau unauffällig. Sie war jung und sehr schön, ihre Haut war von einer zarten, gleichmäßigen Bräune bedeckt. Tatjana gelang es nie, so braun zu werden, sie hatte eine milchig weiße Haut und bekam sofort einen Sonnenbrand, sodass sie sich während des Urlaubs meistens im Schatten aufhalten musste und es nur am frühen Morgen oder gegen Abend wagen konnte, sich der Sonne auszusetzen. Die Frau trug ein hellgrünes Seidenkostüm, das sehr schön mit ihrer gebräunten Haut und ihren zahlreichen Goldschmuckstücken harmonierte. Die grell lackierten Fingernägel wirkten etwas vulgär, doch insgesamt machte die Frau einen sehr aparten Eindruck. Interessant, dachte Tatjana, was findet so eine Person an meinen Büchern?
Die Frau las, ohne sich ablenken zu lassen, und Tatjana blickte unauffällig in den Text. Sie versuchte sich vorzustellen, welchen Eindruck der eine oder andere Absatz auf die Leserin machte. Nicht zu glauben, dachte sie, diese Frau liest ein Buch und ahnt nicht, dass die Autorin direkt neben ihr sitzt, sogar unsere Ellenbogen berühren sich.
Die Metro schien sich der Haltestelle zu nähern, an der die Frau aussteigen musste. Sie schloss das Buch, ließ es noch einen Moment auf ihren Knien liegen und sah nachdenklich irgendwohin in die
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