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Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Titel: Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Ferne. Dann steckte sie das Buch in ihre kleine Handtasche, und als die Metro anhielt, stand sie auf und stieg aus. Zuerst war sie Tatjana sehr groß vorgekommen, aber in Wahrheit trug sie nur Schuhe mit sehr hohen Absätzen.
    Tatjana sah ihr nach, bis sie verschwunden war, dann kehrte sie innerlich zu ihrem neuen Manuskript zurück. Etwa das erste Drittel war schon fertig in ihrem Kopf, aber das war immer der leichteste Teil der Arbeit. Den Anfang konnte man nach Herzenslust ausphantasieren, aber im letzten Drittel begann die Schwerstarbeit. Alle gelegten Fäden mussten zusammengeführt und miteinander verknüpft werden, keinen einzigen durfte man vergessen, jede der Figuren musste sichtbar werden mit ihrem Schicksal. Und natürlich musste im letzten Drittel immer die wichtigste Frage geklärt werden: Sollte es ein gutes Ende geben oder ein schlechtes? Sollten alle Täter gefasst und bestraft werden oder nicht alle? Oder sollte womöglich kein einziger ins Netz gehen und die Miliz gehörnt Zurückbleiben? Sollte um der Tragik willen vielleicht einer von den »Guten« ermordet werden, zum Beispiel bei der Festnahme? Und zusätzlich vielleicht einer von den »Schlechten«, um einen Ausgleich zu schaffen und die Gerechtigkeit wiederherzustellen? Aber würden das nicht zu viele Morde werden? Immerhin zeugte es von schlechtem Geschmack, wenn es in einem Krimi von Leichen wimmelte. Es war sehr schwer, den schmalen Grat zu finden, den einen psychologischen Thriller von einem simplen Reißen trennte. Wie also sollte sie das Buch enden lassen? Aus ihrer langjährigen Erfahrung als Untersuchungsführerin wusste sie, dass es fast nie einen absoluten Sieg über das Verbrechen gab. Aber es existierten ja auch die Gesetze der literarischen Gattung . . .
    Sie war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie sie bis zur Wohnung in Tscheremuschki gekommen war. Ihr Mann war natürlich noch nicht da, er würde nicht vor acht Uhr nach Hause kommen. Tatjana war noch gar nicht dazu gekommen, Jacke und Schuhe auszuziehen, als das Telefon läutete.
    »Tatjana Grigorjewna?«
    Die eisige Stimme in der Leitung gehörte Margarita, der ersten Frau von Wladislaw Stassow.
    »Ja«, sagte Tatjana mit einem tiefen Seufzer, »ich bin am Apparat, Margarita Wladimirowna.«
    »Ich habe mit Stassow ausgemacht, dass er heute Lilja für etwa fünf Tage zu sich nimmt, ich muss zu einem Filmfestival nach Prag.«
    »Wenn Sie das mit ihm ausgemacht haben, dann wird er das Kind auch holen. Machen Sie sich keine Sorgen, Margarita Wladimirowna.«
    »Aber ich muss in einer halben Stunde zum Flughafen«, entrüstete sich Margarita, »und Lilja ist immer noch hier. Was denkt Ihr Mann sich eigentlich?«
    »Lilja ist schon ein großes Mädchen, Margarita Wladimirowna, und kann ohne weiteres ein paar Stunden allein zu Hause bleiben. Gegen acht Uhr wird Stassow sie abholen.«
    »Nein, so geht das nicht«, widersprach Margarita empört. »Ich muss wissen, dass mit meinem Kind alles in Ordnung ist. Ich muss Lilja Stassow persönlich übergeben, um mich ruhigen Herzens auf den Weg machen zu können.«
    »Ich kann Ihnen leider nicht helfen«, erwiderte Tatjana ruhig. »Wenn Sie in einer halben Stunde das Haus verlassen müssen, wird Lilja eine Weile allein bleiben müssen. In einer halben Stunde kann ich Stassow nicht für Sie finden, und in dieser Zeit würde er es sowieso nicht bis zu Ihnen nach Sokolniki schaffen. Das ist unrealistisch.«
    »Nun gut«, gab Margarita nach. Sie war sehr streitsüchtig und mischte sich in alles ein, aber meistens fing sie sich schnell wieder und hörte auf die Stimme der Vernunft. »Ich fahre etwas früher los und bringe Lilja auf dem Weg zum Flughafen selbst bei euch vorbei. Werde ich Sie zu Hause antreffen?«
    »Ja«, versprach Tatjana, »Sie werden mich antreffen, ich gehe heute nicht mehr weg.«
    Die Unterhaltungen mit der ersten Frau ihres Mannes waren für Tatjana immer äußerst amüsant. Die schöne Margarita mit ihrem schlanken Luxuskörper und ihren unwahrscheinlich langen Beinen, die in der ganzen Filmszene berühmt waren, konnte beim besten Willen nicht begreifen, was ihr geschiedener Mann an der frühzeitig füllig gewordenen Tatjana fand, sie nannte ihre Nachfolgerin eine Kuh mit Schweinsäuglein und äußerte bei jeder Gelegenheit ihr Befremden über Wladislaws seltsame Wahl. Als Stassow Tatjana kennen lernte, war er schon seit drei Jahren von Margarita geschieden, aber das änderte nichts daran, dass sie

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