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Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Titel: Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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diese Gesichter gut, auch zu ihr in die psychiatrische Sprechstunde kamen solche Frauen, sie hatten schwer erziehbare Kinder oder Männer, die Alkoholiker waren. Larissa war jetzt froh, dass sie nicht weggegangen war und den Beginn der Sprechstunde an Ort und Stelle abgewartet hatte, sie saß schon so lange hier, dass sie nun die Erste in dieser traurigen Warteschlange war.
    Inspektor Barulin erschien gegen halb sechs. Er war noch sehr jung, klein und schmal, sein Gesicht wirkte kindlich.
    »Wer ist der Erste?«, fragte er im Vorübergehen. »Kusmitschewa, wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass Sie nicht mehr zu kommen brauchen! Ihr Sohn ist in Untersuchungshaft, ich kann Ihnen nicht helfen.«
    Larissa erhob sich schnell und folgte dem Milizionär in ein enges, ungemütliches Zimmer mit ungeputzten Fenstern und von den Wänden blätterndem Putz. Barulin knöpfte im Gehen seine Uniformjacke auf und setzte sich hinter den Schreibtisch.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte er, ohne Larissa anzusehen.
    »Ich . . .« Larissa stockte, sie hatte nicht darüber nachgedacht, wie sie das Gespräch beginnen sollte. »Ich komme wegen Nadeschda Romanowna Zukanowa. Sie ist im letzten Jahr gestorben, sie hat sich umgebracht.«
    »Ich erinnere mich«, erwiderte der Inspektor. »Und was möchten Sie?«
    »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihre Zeit in Anspruch nehme«, sagte Larissa hastig, »aber ich habe erst gestern von ihrem Tod erfahren. In unserer Studienzeit waren wir befreundet, danach haben wir uns lange Zeit nicht gesehen, nichts voneinander gehört . . . Und nun . . . Könnten Sie mir vielleicht sagen, was passiert ist? Ich habe mit ihrem Sohn Viktor gesprochen, aber es ist mir unangenehm, ihm Fragen zu stellen, es muss ein schweres Trauma für ihn sein. Ich weiß, dass Viktors Vater die Familie verlassen hat und die Kinder in keiner Weise unterstützt. Ich würde ihn gern finden und mit ihm sprechen. Es ist doch nicht normal, dass die Kinder allein leben müssen, ohne jede Unterstützung durch Erwachsene.«
    »Nun übertreiben Sie ein wenig, die Kinder sind ja schon so gut wie erwachsen. Die Tochter arbeitet, der Sohn studiert, bei den beiden ist alles in Ordnung. Ich glaube nicht, dass es Ihnen gelingen wird, das Mitleid dieses Schurken zu erwecken.«
    »Ist er ein Schurke? Das heißt also, Sie wissen etwas über ihn . . . Wer ist er? Sagen Sie es mir bitte.«
    »Es ist nicht allzu viel, was ich über ihn weiß. Es gab nie irgendwelche Beschwerden, offenbar hat er nicht getrunken und Frau und Kinder nicht geschlagen. Es schien eine intakte Familie zu sein, aber ich habe sie nur ganze zwei Mal besucht. Das erste Mal, als ich das Revier übernommen habe und von Wohnung zu Wohnung ging, um mich den Leuten vorzustellen. Und als ich zum zweiten Mal kam, war alles schon passiert. Es stellte sich heraus, dass dieser Typ zwanzig Jahre lang mit der Zukanowa zusammengelebt hatte, ohne mit ihr verheiratet zu sein. Sie hatten zusammen einen Sohn großgezogen, und der war davon überzeugt, dass sein Vater der gesetzliche Ehemann seiner Mutter war. Auch die Tochter war dieser Meinung. In Wahrheit hat er zwanzig Jahre lang als freier Vogel gelebt und klammheimlich nach rechts und links geschaut. Und eines schönen Tages verkündet er, dass er eine andere Frau gefunden hat. Über eine Heiratsagentur. Dieser Halunke. Er lebt mit einer Frau zusammen, zieht mit ihr einen Sohn groß und sucht sich nebenbei etwas Besseres über eine Heiratsagentur. Können Sie sich so etwas vorstellen?«
    »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen«, gestand Larissa. »Hat er diese Frau geheiratet?«
    »Darüber bin ich nicht im Bilde. Das geht mich nichts an. Als die Zukanowa Hand an sich gelegt hat, habe ich ihn natürlich ausfindig gemacht. Sie verstehen selbst, Viktor war gerade achtzehn, ein schwieriges Alter, ich habe befürchtet, er könnte den Boden unter den Füßen verlieren nach diesem Schlag. Die Jugend ist dumm, es hätte ja sein können, dass er zu trinken anfängt oder drogensüchtig wird. Sie müssen Ihren Sohn unterstützen, habe ich seinem Vater gesagt, lassen Sie ihn jetzt nicht allein, er braucht Sie. Ziehen Sie nach diesem schrecklichen Unglück für eine Weile wieder zu den Kindern, bis sie sich gefangen haben. Ich konnte ja nicht wissen, dass die Zukanowa sich seinetwegen das Leben genommen hatte und der Sohn ihn niemals über die Schwelle lassen würde. Er ist nicht einmal zur Beerdigung gekommen, um die Kinder nicht

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