Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
»Wozu hätte jemand das alles tun sollen?«
»Haben Sie etwa keine Feinde?«, fragte Olschanskij mit hochgezogenen Augenbrauen. »Nicht einen einzigen? Verzeihen Sie mir, aber das kann ich nicht glauben. Jemand, der Immobiliengeschäfte macht, hat auf jeden Fall Feinde. Zumindest zieht er Missgunst auf sich. Das ist ein Gesetz des freien Marktes.«
»Ich verstehe es trotzdem nicht . . . Ja, natürlich gibt es Leute, denen aufgrund meiner Einmischung lukrative Geschäfte entgangen sind, aber das geschieht doch auf Schritt und Tritt. Wer wird deshalb so etwas anzetteln. Das geht mir einfach nicht in den Kopf. Ich glaube, Sie übertreiben, Konstantin Michailowitsch.«
»Schon möglich, schon möglich.« Der Untersuchungsführer kaute bedächtig auf seinen Lippen herum, dann entnahm er seinem Schreibtisch ein Formular und begann, es auszufüllen. »Ich stelle hiermit einen Haftbefehl gegen Sie aus. Aufgrund des vorliegenden Gutachtens, mit dessen Inhalt ich Sie vertraut gemacht habe, sind Sie verdächtig, an der Ermordung von Ljudmila Schirokowa beteiligt zu sein. Einstweilen werden Sie für drei Tage unter Arrest genommen, danach wird man weitersehen.«
»Sind Sie . . .?«
Derbyschew war vor Verblüffung die Stimme weggeblieben, er musste sich erst räuspern, bevor er weitersprechen konnte.
»Sind Sie verrückt geworden? Was gibt Ihnen das Recht, mich zu verhaften?«
»Viktor Alexandrowitsch, ich habe Ihnen eben alles ganz genau und in gut verständlicher russischer Sprache erklärt. Da Sie mich trotzdem nicht verstehen wollen, werden Sie sich Ihre eigenen Gedanken über die Sache machen müssen. Sie werden ja nun genug Zeit dafür haben. Ja, und noch etwas. Sie haben gesagt, dass Ihre Firma nicht arm ist, deshalb kann sie bei Gericht einen Antrag auf Ihre Freilassung gegen Kaution stellen, sofern ich nach Ablauf dieser drei Tage zu dem Schluss kommen sollte, Sie weiterhin in Untersuchungshaft zu behalten, und der Staatsanwalt das befürwortet. Die Kaution wird nicht gering sein, aber ich denke, die Immobilienhaie werden sie schon aufbringen.«
»Sie werden sich für dieses gesetzwidrige Vorgehen verantworten müssen.«
»Natürlich«, nickte Olschanskij, ohne den Kopf vom Formular zu heben. »Sie haben ein schlechtes Gedächtnis, Viktor Alexandrowitsch. Ich habe Ihnen bereits ganz zu Anfang gesagt, dass ich eine stabile Immunabwehr gegen jede Art von Drohungen besitze. Unbegründete Verhaftungen sind mir in meiner Berufspraxis schon des Öfteren unterlaufen, wir Untersuchungsführer sind auch nur Menschen und machen Fehler. Aber ich kann Ihnen versichern, dass noch nie jemand wegen eines solchen Fehlers entlassen wurde, man bekommt dafür nicht einmal eine Rüge. Sollte sich also am Ende heraussteilen, dass Ihre Verhaftung unbegründet war, wird mir nichts geschehen, rein gar nichts. Wir haben das Recht, einen Verdächtigen zu verhaften, um innerhalb von drei Tagen herauszufinden, ob der Verdacht begründet war oder nicht.«
Olschanskij nahm den Telefonhörer ab und bestellte einen Polizeiwagen, der den Verhafteten aus dem Gebäude der Moskauer Staatsanwaltschaft zur Petrowka bringen sollte.
* * *
»Kostja hat den Verstand verloren«, verkündete Jura Korotkow, der bei Nastja im Büro hereinschaute. »Er hat Derbyschew verhaften lassen.«
»Das kann doch nicht wahr sein.«
Nastja fiel vor Überraschung der Bleistift aus der Hand.
»Das Zeitalter der Freiheit ist nicht in Sicht«, stellte Korotkow prophetisch fest. »Man hat Derbyschew eben hergebracht.«
»Kaum zu glauben! Das sieht Kostja gar nicht ähnlich. Du weißt doch, dass er kein Mensch ist, der zu drastischen Maßnahmen neigt. Und mit Verhaftungen ist er immer sehr vorsichtig.«
»Dieser Derbyschew muss ihm ganz schön zugesetzt haben. Und ich sage dir noch etwas. Ich glaube, er hat auch Strelnikow auf dem Kieker. Seitdem die Briefe auf Tomtschaks Datscha gefunden wurden, verhört er ihn jeden Tag, obwohl Strelnikow hartnäckig behauptet, er hätte diese Briefe nie gesehen und sie auch nicht auf der Datscha seines Freundes versteckt.«
»Wer sollte ihm denn erlauben, Strelnikow zu verhaften! Er ist schließlich die rechte Hand des Vorsitzenden im Hochschulbereich des Staatskomitees, den kann man nicht einfach so verhaften. Und überhaupt, wofür?«
»Kostja findet einen Grund, wenn er will. Ich glaube, er betrachtet die Briefe als ein durchaus mögliches Motiv für den Mord. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass Strelnikow gemeinsame Sache
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