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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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hatte.«
    »Aber er durfte dort hinaufgehen«, sagte ich und zeigte auf das Sternrund.
    Orolo fand das komisch. »Natürlich. Und ich hoffe, dass man uns in absehbarer Zeit auch wieder dort hinlässt.«
    »Warum? Wie? Worauf gründet sich diese Hoffnung?«, musste ich ihn fragen, obwohl ich wusste, dass er nicht antworten würde.
    »Sagen wir, ich bin ebenso wie du mit der Fähigkeit begabt, mir vorzustellen, welchen Ausgang die Dinge nehmen könnten.«
    »Besten Dank!«
    »Im Übrigen kann ich diese Fähigkeit auch dazu verwenden, mir auszumalen, wie es wäre, ein Efferat zu sein«, sagte er. »Estemards
Briefe machen deutlich, dass das eine harte Form des Daseins ist.«
    »Glaubst du, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Orolo, ohne zu zögern. »Das sind große Fragen. Wonach strebt der menschliche Organismus? Abgesehen von Nahrung, Wasser, Obdach und Reproduktion, meine ich.«
    »Zufriedenheit, nehme ich an.«
    »Was man in einer oberflächlichen Form auch erreichen kann, indem man einfach das isst, was sie da draußen essen«, bemerkte Orolo. »Und dennoch sehnen die Leute extramuros sich nach Dingen. Sie treten dauernd wieder anderen Archs bei. Was bringt das alles?«
    Ich dachte an Jesrys und meine Familie. »Ich nehme an, die Leute denken gerne, dass sie nicht nur leben, sondern ihren Lebensstil auch weiterverbreiten.«
    »Das stimmt. Die Menschen haben das Bedürfnis, sich als Teil eines zukunftsweisenden Projekts zu fühlen. Eines Projekts, das auch ohne sie weitergehen wird. Das schafft ein Gefühl der Stabilität. Ich glaube, das Bedürfnis nach dieser Art von Stabilität ist ebenso fundamental und dringend wie manche der anderen, offensichtlicheren Bedürfnisse. Es gibt aber mehr als einen Weg, sie zu erreichen. Wir mögen nicht viel von der Subkultur der Dards halten, aber du musst zugeben, dass sie stabil ist! Die Burgher wiederum haben eine völlig andere Art von Stabilität.«
    »Wie wir auch.«
    »Wie wir auch. Für Estemard hat sie jedoch nicht funktioniert. Vielleicht hatte er das Gefühl, dass ein Einsiedlerleben auf einem Inselberg diesem Bedürfnis eher entspräche.«
    »Oder es war bei ihm einfach nicht so stark wie bei manchen von uns«, ergänzte ich.
    Die Uhr schlug zur vollen Stunde. »Du bist im Begriff, einen faszinierenden Vortrag von Suur Fretta zu verpassen«, sagte Orolo.
    »Das klingt verdächtig nach Themenwechsel«, bemerkte ich.
    Orolo zuckte die Achseln. Themen wechseln. Am besten stellst du dich drauf ein.
    »Also gut«, sagte ich. »Ich werde mir ihren Vortrag anhören. Aber wenn du vorhast zu gehen, dann spazier bitte nicht hier raus, ohne mir etwas davon zu sagen, ja?«
    »Ich verspreche, dass ich dir so weit im Voraus Bescheid sagen
werde, wie ich kann, falls so etwas passieren sollte«, sagte er in einem milden Ton, so als spräche er mit einem Geistesgestörten.
    »Vielen Dank«, sagte ich.
    Dann ging ich zu Saunt Grods Schreibsaal und setzte mich auf einen der vielen freien Plätze, die wie immer Barb umgaben.
    Eigentlich sollten wir ihn jetzt Fraa Tavener nennen, denn diesen Namen hatte er angenommen, als er sein Gelübde abgelegt hatte. Manche Leute brauchten jedoch länger als andere, um in ihre Avotnamen hineinzuwachsen. Arsibalt war vom ersten Tag an Arsibalt gewesen; inzwischen erinnerte man sich nicht einmal mehr an seinen Extramurosnamen. Barb dagegen würden die Leute noch lange Barb nennen.
    Wie auch immer sein Name, dieser Junge war im Begriff, mich zu retten. Es gab viel, was er nicht wusste, aber nichts, wozu er sich gescheut hätte, Fragen über Fragen zu stellen, bis er es vollkommen verstanden hatte. Ich beschloss, ihn zu meinem Fid zu machen. Die Leute würden denken, ich täte es aus reiner Menschenfreundlichkeit. Manche würden vielleicht sogar auf den Gedanken kommen, ich wäre kurz davor zurückzufallen und machte jetzt die Betreuung von Barb zu meiner Nebenbeschäftigung. Sollten sie das doch denken! In Wirklichkeit war es hauptsächlich Eigennutz. Allein die Bereitschaft, neben Barb zu sitzen, hatte mir innerhalb von sechs Wochen mehr Kenntnisse in Theorik eingebracht, als ich mir in den sechs Monaten vor der Apert angeeignet hatte. Ich erkannte jetzt, dass ich in meinem Verlangen nach theorischem Wissen Abkürzungen genommen hatte, die sich wie Abkürzungen auf einer Landkarte als Umwege entpuppten. Immer wenn ich gesehen hatte, dass Jesry etwas schneller kapierte als ich, hatte ich Gleichungen auf eine

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